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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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empfangen! Ich hätte nicht übel Lust, meiner Herrschaft zu melden, was für Leute durch ihre Empfangsräume trampeln!«
    Die Hausangestellte führte sie durch einen geräumigen Flur und einen langen Gang zu den rückseitig gelegenen Räumen. Statt Gemälden und Tapeten gab es hier Schränke mit Glastüren, in denen sich Teller und Dessertschalen stapelten, dazu Suppenterrinen und alle möglichen Arten von Porzellangeschirr, für das Sascha keine Bezeichnungen kannte. Sie hatten den letzten Geschirrschrank hinter sich und hörten schon die Küchengeräusche, da hielt die Hausangestellte vor einer schmalen Eichentür und klopfte an.
    »Mr James«, rief sie. »Da sind Leute, die wollen Sie sprechen.«
    Sie öffnete die Tür und gab den Blick frei auf eine saubere, gemütlich eingerichtete Stube. Und im Sessel vor einem knisternden Kaminfeuer saß ein gut gekleideter Chinese und las in einem Buch.
    Er lies das Buch sinken und begrüßte Shen mit Herzlichkeit. »Was verschafft mir das Vergnügen?«
    Shen räusperte sich und schielte zu der Hausangestellten hinüber.
    »Vielen Dank, Bessie«, sagte Mr James. »Ich brauche Sie nicht mehr.«
    Bessie zog unwillig ab. Sascha hatte den Verdacht, dass sie gleich hinter der Tür warten würde. Freilich sollte ihr Spionieren nicht viel ergeben, denn Shen und James wechselten sofort in ein rasend schnelles Chinesisch.
    Nach diesem kurzen Wortwechsel wandte sich James an Sascha, machte eine Verbeugung und begrüßte ihn.
    »Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr Kessler. Ich darf Sie also werktags abends erwarten?«
    Sascha nickte.
    »Sehr schön. Ich freue mich schon auf Ihre Besuche.«
    Draußen auf der Straße teilte Shen Sascha mit, dass James einverstanden sei, ihn jeden Abend zu empfangen unter dem Vorwand, dass er sich um den Sohn eines Freundes kümmere, der zur Arbeitssuche nach New York gekommen sei. »Verbringe ein paar Minuten mit ihm, dann kannst du wieder deiner Wege gehen.«
    »Aber wird er denn nicht in Schwierigkeiten geraten?«, fragte Sascha. Er machte sich Sorgen wegen der hochnäsigen Hausangestellten.
    »Wohl kaum. So wie ich James kenne, wird er noch vor Ende des Monats seine Herrschaft davon überzeugt haben, dich zum Abendessen einzuladen.«
    »Wie hast du ihn kennengelernt?«, fragte Sascha.
    »Er gehörte zu meinen Waisenkindern.«
    »Aber er … ist so alt!«, sagte Sascha verwundert.
    »Was ist denn plötzlich los?«, fragte Shen nach einer Weile. »Du siehst aus, als drücke dich der Schuh.«
    »Wie alt bist du eigentlich?«, platzte Sascha heraus.
    Shen grinste breit. »Weißt du denn nicht, dass es als unhöflich gilt, eine Frau nach ihrem Alter zu fragen?«
    »Ich wollte nicht unhöflich sein …, ich dachte … Gehörst du zu den Unsterblichen?«
    »Unsterblich zu sein ist nicht das Gleiche, wie eine Schanklizenz zu erwerben. Man zahlt nicht einfach die Gebühr und erhält das entsprechende Papier. Es ist etwas, was man tut, nicht was man einfach ist.«
    »Heißt das dann, dass du ewig leben wirst?«
    »Das weiß ich beim besten Willen nicht.« Sie setzte ein schelmisches Grinsen auf, das sie zugleich wie ein Kind und uralt aussehen ließ. »Ich habe noch nicht lange genug gelebt, um diese Frage zu beantworten.«
    Da fiel Sascha plötzlich der Dibbuk ein. Shen könnte wissen, was zu tun war. Aber auf der anderen Seite würde sie vielleicht Wolf informieren. Und dann würden Saschas Lügen an den Tag kommen – alle, angefangen von dem entscheidenden Augenblick, als er die Wahrheit über das Medaillon seiner Mutter verschwiegen hatte.
    »Außer dass du dich vor Lily Astral schämst, hast du noch andere Sorgen, stimmt’s?«
    Sascha nickte, er hatte einen Kloß im Hals.
    »Hast du mit Inquisitor Wolf darüber gesprochen?«
    »Wohl kaum!«, stieß er hervor.
    »Aber warum denn nicht?«, fragte sie ganz arglos. Sie schien es wirklich wissen zu wollen.
    »Weil ich das einfach nicht kann.«
    »Und mir willst du es auch nicht sagen. Unter Zwang würdest du nur eine weitere Lüge erfinden, die du später dann nicht zugeben könntest.«
    Sascha fühlte, wie ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg.
    Sie hatten jetzt den unteren Broadway erreicht. Im Gewühl der sonntäglichen Menge senkte Shen den Kopf und verbarg ihr Gesicht unter ihrem breitkrempigen Hut. Sie hielt gerade so viel Abstand zu Sascha, dass man nicht hätte sagen können, ob sie zusammengehörten. Für zwei Häuserblöcke gingen sie wie Fremde nebeneinanderher. Irgendetwas in Shens

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