Der Seelenhändler
durchaus Sinn, erhöhten sie doch seine Autorität und flößten Respekt ein.
Wie erwartet, schien die Tänzerin beeindruckt zu sein. Aber nicht nur das: Wolf las auch Angst in ihrem gesunden Auge.
„Habe ich etwas Unrechtes getan, hoher Herr?“, fragte sie erschrocken mit einer angenehm dunklen Stimme.
„Nein, Mercedes. Das ist es nicht, warum ich nach Euch suchte. Ich benötige eine Auskunft von Euch. Um Unschuldigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und Schuldige ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“
„Ihr sprecht in Rätseln, Herr. Welche Auskunft könnte ich Euch schon geben?“, fragte Mercedes unsicher. Die Sache kam ihr nicht geheuer vor.
„Was haltet Ihr davon, wenn wir uns in aller Ruhe unter vier Augen unterhalten“, schlug Wolf vor. Zwar hatte sich Rufus mittlerweile diskret zurückgezogen, doch Wolf wollte sein Verhör in aller Abgeschiedenheit ohne jeden störenden äußeren Einfluss führen. „Es führt ein Weg den Bach entlang. An seinem Ufer gibt es sicher eine Stelle, an der wir völlig frei miteinander reden können“, fügte er freundlich hinzu.
Kurze Zeit später hatten sie sich ein gutes Stück vom Lager entfernt an einem schmalen Steg niedergelassen, der über den in der Abendsonne glitzernden Bach führte. Wolfs Rappe graste friedlich in der Nähe einiger Sträucher, die bis ans Wasser reichten. Er selbst hatte bequem die Knie angezogen und die Arme darumgeschlungen, die Frau dagegen saß ihm steif wie eine hölzerne Puppe im Gras gegenüber, die Hände im Schoß gefaltet. Wolf glaubte, deutliche Zeichen von Furcht an ihr wahrzunehmen.
„Würdet Ihr mir Euren vollen Namen verraten, Mercedes?“, eröffnete er ohne große Umschweife das Verhör und bemühte sich, seine Stimme sanft und freundlich klingen zu lassen.
„Meinen vollen Namen? Was tut der schon zur Sache, wenn man zum fahrenden Volk gehört, hoher Herr“, entgegnete die Frau bitter.
„Dennoch würde ich ihn gern erfahren. Schließlich nannte ich Euch auch den meinen.“
„Verzeiht, Herr, Ihr habt Recht. Es ist nur so …“ Sie zögerte.
„Ja?“, setzte Wolf nach.
„Es ist … Ihr müsst wissen, Mercedes ist nicht mein richtiger Name …“
Wolf horchte auf. War dies etwa schon ein erster Hinweis auf die Antworten, nach denen er suchte?
„Und wie lautet Euer richtiger Name?“, fragte er.
„Sofie Mitterer“, antwortete sie zögernd.
Sofie Mitterer! Wolf war irgendwie enttäuscht. Er hatte einen anderen Namen erwartet.
„Und woher stammt Ihr, Sofie Mitterer? Oder ist es Euch lieber, wenn ich Mercedes zu Euch sage?“
„Ja, hoher Herr. Nennt mich Mercedes. Sofie Mitterer ist längst tot“, antwortete die Frau leise und starrte düster auf die sich kräuselnden Wellen des Baches, der munter dahinplätscherte.
Wolf wartete. Dann, ohne dass er sie erneut auffordern musste, sprach sie weiter. „Ich komme ursprünglich aus Augsburg. Ich zählte zwölf Jahre, als meine Eltern starben. Sie waren arme Leute, die im Lech ertranken. Ich hatte keine anderen Verwandten. Rufus gastierte damals mit seiner Truppe in der Stadt. Deshalb schloss ich mich ihm an. Seitdem bin ich bei ihm. Er sorgte stets gut für mich.
Und gab mir einen neuen Namen – Mercedes. Das war vor fünfundzwanzig Jahren.“
Wieder machte sich so etwas wie Enttäuschung in ihm breit. Das also war ihre Vita. Unspektakulär; die Lebensgeschichte einer Frau, wie sie Tausenden anderen auch gehören konnte. Aber war das wirklich alles?
„Mercedes, hattet Ihr jemals einen Mann?“
„ Einen Mann? Ich hatte viele Männer, wenn Ihr versteht, was ich meine, hoher Herr“, meinte sie und lachte verächtlich.
Wolf verstand sehr gut. Ihre Offenheit überraschte ihn.
„Ihr missversteht mich. Ich meine nicht, ob Ihr Liebhaber hattet, sondern ob Ihr jemals verheiratet wart? Habt oder hattet Ihr Kinder?“
Versonnen blickte Mercedes auf das schmale, glitzernde Band des Baches zu ihren Füßen. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nie. Ich wäre gern einem Ehemann zu eigen gewesen. Und ich hätte gern Kinder gehabt. Ich mag Kinder. Aber dazu kam es nie. Ich habe nie ein Kind geboren.“
Wieder spielte ein bitteres Lächeln um ihre Mundwinkel.
Wolf sah sie von der Seite her an. Sie schien die Wahrheit zu sagen, und das überraschte ihn. Denn wenn sie nie Kinder besessen hatte, wer war dann Paul – das Kind, mit dem sie vor fünfzehn Jahren im Nonnenkloster zu Admont aufgetaucht war? Und dass sie die Frau mit dem Säugling war, daran bestand
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