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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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Sache. Er bediente sich bewusst des „Ihr“, obwohl fahrendes Volk zu jenem Personenkreis zählte, dem diese Form der Anrede normalerweise nicht zugedacht war. Doch er wollte bewusst einen zuvorkommenden Eindruck erwecken.
    „Eine Tänzerin?“, fragte Rufus grinsend und zwinkerte mit den Augen. „Ihr meint sicher Esmeralda, die Königin der Sonne. Sie hat Euch wohl den Mund wässerig gemacht, als Ihr sie vorhin tanzen saht, nicht wahr?“
    Wolf lächelte. „Nun, leider sah ich Eure Königin der Sonne nicht tanzen. Ich kam eben erst hier an. Und ich weiß auch nicht, ob Esmeralda die Frau ist, die ich suche.“
    Der Hüne neigte fragend den Kopf. „Ihr sucht eine Tänzerin, die in meiner Truppe arbeitet, und wisst nicht welche?“
    „Ich suche nach einer Frau mit einem herabhängenden Augenlid, die auf dem gleichen Auge blind sein soll“, entgegnete Wolf und wartete gespannt auf die Reaktion des Mannes. Was, wenn es diese Frau in seiner Truppe nicht mehr gab?
    „Ah, Ihr meint Mercedes. Sie hat die Rolle der Schlange der Nacht in unserem großen Mysterienspiel übernommen, das wir morgen Abend erstmals spielen werden. Sie kommt erst später wieder, etwa um die zwölfte Stunde. Was wollt Ihr denn von Ihr?“ Misstrauen schwang in Rufus’ Stimme mit.
    „Eine Auskunft. Nichts weiter als eine Auskunft“, entgegnete Wolf und atmete auf. Es gab die Frau also tatsächlich.
    „So, eine Auskunft. Nun denn, wie gesagt, da müsst Ihr Euch noch ein wenig gedulden, hoher Herr, und etwas später wiederkommen. Allerdings müsstet Ihr Euch dann in unser Lager bemühen, draußen vor den Toren, nahe der Straße nach Judenburg“, sprach der Hüne und verbeugte sich höflich.
    Der Abend nahte. Pünktlich zur zwölften Stunde trabte Wolf durch das Tor, durch das er heute Mittag gekommen war, wieder hinaus und folgte der Straße, die nach Judenburg führte. Und tatsächlich, nicht weit entfernt, abseits der Straße, lagerte die Truppe auf einer freien Wiese am Rande eines kleinen Baches. Wolf zählte drei Wagen, die in einem Halbkreis um mehrere Verschläge aus Brettern und Balken herum angeordnet waren und primitiven Hütten glichen. Ihre Eingänge, mit Tüchern verhängt, öffneten sich zum Bach hin, der in geringer Entfernung munter vor sich hin plätscherte.
    Kaum dass er im Lager angelangt war, trat Rufus aus einem der Verschläge heraus.
    „Seid willkommen, hoher Herr“, fistelte er und verbeugte sich. „Wenn Ihr mir folgen wollt. Ich führe Euch zu Mercedes“, fügte er ohne große Umschweife hinzu.
    Gespannt folgte Wolf dem Hünen zu einem der Verschläge, dessen Eingang mit einer Art Teppich verhängt war. Rufus schlug ihn zurück und bedeutete ihm mit einer einladenden Geste und unter zweideutigem Grinsen, einzutreten. Gebückt trat Wolf durch die Öffnung – und erstarrte unwillkürlich. Eine schlanke Frau stand vor ihm, hochaufgerichtet und offensichtlich in gespannter Erwartung dessen, was der Fremde, der sie aus stahlblauen Augen musterte, von ihr wollte. Kein Zweifel – sie war die Gesuchte und noch immer sehr schön. Langes schwarzes Haar, in das sich die ersten grauen Strähnen mischten, rahmte ein noch immer vollendet geformtes Gesicht, aus dem, wie zum Hohn, ein totes Auge blickte – halb verborgen unter einem Lid, das kraftlos herunterhing. Das gesunde Auge, groß und ausdrucksvoll, betrachtete ihn hingegen äußerst neugierig.
    Ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich Wolfs. Das also war Mercedes, die Frau, die mit den kleinen Paul im Arm in jener stürmischen Nacht vor fünfzehn Jahren im Frauenkloster zu Admont um barmherzige Aufnahme gebeten und diese auch gefunden hatte. Und die am nächsten Morgen mit dem Säugling weitergezogen war und die Decke mit dem Zeichen des Ebers bei ihren Retterinnen zurückgelassen hatte.
    „Ihr seid Mercedes?“, fragte Wolf. Wie schon bei Rufus, wählte er abermals das „Ihr“ als Anrede, weil er sich durchaus darüber im Klaren war, dass das bewusste Bekunden von Respekt der Frau Vertrauen einflößen konnte, und nichts war ihm momentan wichtiger.
    Die Frau nickte, doch sie sagte nichts.
    Wolf räusperte sich. „Gestattet, dass ich mich vorstelle, Mercedes. Ich bin Wolf von der Klause, Sonderbeauftragter des Landrichters im Ennstal, Marquardt von Taupekh, des Weiteren Bevollmächtigter des Abtes Wilhelm von Reisberg zu Admont sowie des Inquisitors Heinrich von Olmütz.“ Dass sich Wolf auf diese Titel berief, auf denen seine Vollmacht beruhte, ergab

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