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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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Deckel. Er zog einen Stiefel hervor und reichte ihn Wolf, der ihn mit großem Interesse musterte.
    Sofort erkannte er, dass er hervorragend verarbeitet war. „Der hat eine gute Stange Geld gekostet“, bemerkte er.
    Er drehte ihn herum und besah sich die Sohle. Kein Zweifel: Das war das Leder, das die Abdrücke hinterlassen hatte. Klar und deutlich war die halbmondförmige Kerbe im Bereich der Ferse zu erkennen. Er griff in den Schaft hinein und stutzte plötzlich, als er eine deutliche Wölbung ertastete – eine fest mit dem Stiefel verbundene Einlage, die sich nicht herausziehen ließ. Offenbar litt der Mann an einem Hohlfuß. Wolf fuhr weiter mit den Fingern die Innenseite entlang und bemerkte auch dort eine Unebenheit, wenn auch nur eine leichte; irgendetwas schien am Schaft zu haften. Er kratzte daran und fühlte, wie es zerbröselte. Er drehte den Stiefel herum und schüttelte ihn über dem Tisch. Die Brösel fielen heraus, zusammen mit feinem Sand.
    Aufmerksam betrachtete Wolf, was er da zutage gefördert hatte. Es waren die vertrockneten Reste einer großen Wasserlibelle, wie sie nur an einer bestimmten Stelle entlang dem Ennsufer auftrat; dort allerdings zu Tausenden. Auch den extrem feinen Sand gab es nur an dieser Stelle. Er kannte jenen Abschnitt des Ufers gut, denn der schmale Strand dort eignete sich hervorragend für ein erfrischendes Bad. Schlagartig fiel ihm die Gürteltasche wieder ein, die der Schnapphahn aus der Truhe Lisas entwendet hatte. In ihr hatte er die gleichen Spuren feinen Sandes entdeckt.
    „Interessant“, murmelte er.
    Der Graf sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
    „Interessant? Was soll daran interessant sein?“, bemerkte er und betrachtete konsterniert die verschmutzte Tischplatte.
    „Nun, wir werden sehen“, orakelte Wolf.
    „Habt Ihr eine Vorstellung, was nun weiter geschehen soll?“, fragte der Graf deprimiert, nachdem die Flamme der Zuversicht, die seit gestern in ihm gezüngelt hatte, durch Wolfs ernüchternde Ausführungen wieder erstickt worden war.
    „Wir werden den Prechtel nach den Stiefeln fragen. So schnell wie möglich. Wenn es Euch recht ist, am besten sofort.“
    Friedrich nickte müde. „Ja. Einverstanden. Ich werde ihn heraufbringen lassen. Wir können ihn in einer der Kammern, die sich über den Kasematten befinden, verhören. Sagen wir – in etwa einer Stunde?“
    Wolf nickte. „Ich werde da sein. Ich schlage vor, wir ziehen auch Euren Neffen hinzu.“
    Der Graf schüttelte den Kopf. „Arnim kommt leider erst spätabends zurück. Aber so lange möchte ich nicht warten.“
    Keine Stunde später betraten Wolf und der Graf den Mittelturm und stiegen in die besagte Kammer hinunter. Obwohl über den Kasematten gelegen, befand sich der Raum immer noch ein Stockwerk unter der Erde.
    Die beiden Männer hatten sich auf einer rohen Bank aus ungehobelten Brettern niedergelassen, vor der ein ebensolcher Tisch stand. In den eisernen Haltern an der Wand aus rohen Ziegeln und Lehm steckten Fackeln, die den ansonsten stockdunklen Raum spärlich mit ihrem rötlich flackerndem Licht erhellten. In dem Gewölbe war es modrig und klamm. Trotz der mittäglichen Sommerhitze, die draußen herrschte, empfanden sie die Kühle hier unten als unangenehm.
    Soeben führte Kuno den Gefangenen die lehmgestampfte Treppe hinauf. Sein Kommen war nicht zu überhören: Schlüssel klirrten an seinem Gürtel. Dann betrat er mit Moritz die Kammer …
    Moritz Prechtel hatte die scheußlichste Nacht seines Lebens verbracht. Er hatte kein Auge zugemacht, nachdem man ihn in ein schummriges, modriges Verlies gesteckt hatte, in dem es nach Unrat und Kot stank. Hin und wieder war eine Ratte aufgetaucht, um ihn neugierig zu beäugen. Dann hatte er laut geflucht und so lange mit dem Fuß nach ihr getreten, bis sie sich verzog.
    Irgendwann jedoch – er hatte mittlerweile jedes Zeitgefühl verloren – war oberhalb der Treppe, die in das Verlies hinabführte, die Tür knarrend aufgegangen, und das Geräusch dumpfer Schritte war an sein Ohr gedrungen. Jemand stieg die irdenen Stufen herunter.
    Kuno, der Hauptmann, bog, eine Fackel tragend, um die Ecke, öffnete wortlos die eiserne Klammer, die den rechten Fuß des Bauern umschloss, und bedeutete ihm, die Treppe hinaufzugehen, während er selbst ihm folgte …
    Moritz schwante nichts Gutes. Er stand vor einem Tisch, hinter dem er, auf einer Bank, zwei Männer ausmachte. Als er im flackernden Licht der Fackeln ihre Gesichter erkannte, staunte er nicht

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