Der Seelenhändler
fliehen … In derselben Nacht lernte ich Ingolf kennen … Er war stumm und hatte nur einen Arm … Auch er war einer von denen, die Zuflucht in den Wäldern gefunden hatten … Ein paar Tage später … überfiel ich zusammen mit In-golf jene Frau … Ihr wisst schon, die mit dem Säugling … der Knabe trug ein Medaillon, das ich an mich nahm … Kurz darauf verließ ich die Gegend … Ingolf kam mit, und irgendwann kamen wir ins Bayrische … Dort fristeten wir über mehrere Jahre hinweg unser Leben in den Wäldern zwischen Lech und Donau … Heuer nun – es war in diesem Februar – überfielen wir in der Gegend um Landsberg einen Ritter … Wir glaubten, dass er allein unterwegs wäre und wir leichtes Spiel mit ihm hätten … Aber wir hatten uns getäuscht … Ihm folgte ein ganzer Tross von Bewaffneten … Wir wurden überwältigt … man schleppte uns auf eine Burg und warf uns in ein Verlies … Am selben Tag noch erfuhren wir … dass wir uns mit dem Grafen von Rieden angelegt hatten …“
Mautner machte eine Pause und rang nach Luft. Das Sprechen kostete ihn ungeheure Anstrengung, kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn.
„Ein paar Tage später, es war Anfang März … sollte uns der Prozess gemacht werden – ich erinnere mich noch genau daran“, fuhr er schließlich fort. „Der Graf höchstpersönlich führte den Vorsitz … Er saß mit sechs anderen am Richtertisch … Man führte uns in die Schrannen … und ich kam genau vor den Grafen zu stehen … Dann geschah es … Der Graf sah mich an … und bekam auf einmal einen starren Blick … Ich sah, wie er regelrecht blass wurde. Er … er stand langsam auf, und stierte … stierte auf meinen Hals. Da erst bekam ich mit, dass er … dass er auf dieses Medaillon starrte – das Medaillon, das ich seinerzeit der Frau abgeknöpft hatte … ich trug es seitdem stets um den Hals – an einer Kette … Plötzlich stürzte er hinter dem Tisch hervor und … und packte mich bei den Schultern … Er war … er war völlig entsetzt … Auf einmal griff er nach dem Medaillon und riss es mir vom Hals .… Dann schrie er mich an und fragte mich, woher ich es hätte … dieses Medaillon … Schließlich trage es sein Wappen … das Wappen derer von Rieden … Ich war völlig verdutzt … außerdem … hatte ich unglaubliche Angst … Ich sagte, ich habe es von einer … einer Frau, die einen Säugling bei sich gehabt habe … und ich würde es schon seit fünfzehn Jahren bei mir tragen … Da sah er mich wieder ganz seltsam an. Er … er wirkte auf mich, als ob er … als ob er nicht ganz bei Verstand sei, und seine Hand, in der er das Medaillon hielt, fing auf einmal fürchterlich an zu zittern … Aber dann wurde er wieder ganz ruhig … Er sagte zu den anderen vom Gericht, man müsse die Verhandlung vertagen … es seien noch weitere Dinge zu klären … Daraufhin sperrte man Ingolf und mich wieder ein. Am nächsten Tag ließ uns der Graf wieder holen … Er saß in einer Halle an einem riesengroßen Tisch … Diesmal wirkte er ganz normal … und war ganz ruhig … Er sagte zu mir, ich solle ihm alles erzählen … über das Medaillon … und die Frau … und den Säugling … Und wie sie ausgesehen habe, die Frau … Und wo genau wir ihr begegnet wären … Und wer wir seien, Ingolf und ich … und wo wir zu Hause wären …“
Der „Luchs“ stöhnte und hielt erneut inne. Wieder flößte Bruder Magnus dem Schwerkranken Medizin ein. Und wieder verging Zeit, bis Mautner weitererzählen konnte.
„Nachdem er mich ausgefragt hatte – Ingolf kann ja nicht sprechen –, ließ er uns wieder einsperren. Diesmal für sehr lange … Es vergingen nicht nur Tage, sondern Wochen … Wir hatten schon jede Hoffnung aufgegeben, aus dem verdammten Kerkerloch wieder rauszukommen … da ließ er uns eines Tages denn doch wieder holen … Und dann eröffnete er uns, dass wir frei kommen könnten, wenn wir … wenn wir uns in seinen Dienst stellten … Und er sagte, dass er einen besonderen Auftrag für uns habe … Und wenn wir den ordentlich erledigen würden, spränge sogar … noch eine dicke Belohnung dabei heraus …“ Aufs Neue hielt Mautner inne, diesmal für länger.
Wolf erhob sich und trat an das Lager des Kranken. Mautner hatte die Augen geschlossen; sein Mund stand offen, nach wie vor atmete er nur schwach. Schon befürchtete Wolf, dass der geständige Meuchler die Grenzen seiner Kraft erreicht habe, als dieser die Augen wieder aufschlug und mit seiner
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