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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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nahm Wolf jedoch in letzter Sekunde seine Bewegung wahr und konnte gerade noch zur Seite ausweichen. Der Mann, vom Schwung seiner eigenen Bewegung mitgerissen, strauchelte und schlug schwer zu Boden. Er schrie kurz auf und blieb stöhnend liegen. Als Wolf sich neben ihm niederkniete, bemerkte er auch den Grund dafür. Das spitze Ende einer aus dem Boden ragenden Wurzel hatte den rechten Schenkel des Fliehenden durchbohrt, war abgebrochen und steckte nun tief im Fleisch.
    Wolf sah sofort, dass sich der Mann schwer verletzt haben musste, und verzichtete darauf, irgendetwas zu sagen. Stattdessen riss er das Beinkleid des Mannes in Streifen und zog das abgebrochene, mit Erde und Schmutz behaftete Stück Holz aus dem Fleisch. Blut schoss aus der Wunde. Rasch zupfte Wolf ein paar saubere Blätter von einem Strauch, legte sie auf die Wunde und band einige straffe Lagen des in Streifen gerissenen Stoffes darum, um die Blutung zu stillen. Anschließend half er dem Gefangenen auf die Beine und dann in den Sattel.
    Als Wolf mit dem Gefangenen im Schlepptau Stunden später unter den erstaunten Augen des Pförtners die Klosterpforte passierte, hatte sich tiefe Dunkelheit über das Tal gebreitet.

33
    Das Licht der Morgensonne flutete durch das schmale Fenster des Klostergefängnisses und warf die Gitterstäbe in harten Schatten auf den sauber gefegten Lehmfußboden.
    Dem Gefangenen, der auf der mit frischem Stroh gepolsterten Holzpritsche lag, stand kalter Schweiß auf der Stirn. Unruhig wälzte er sich hin und her; ab und zu stöhnte er laut auf vor Schmerz. Besorgt, aber mit einem Gefühl zunehmenden Ekels, betrachtete Bruder Magnus, der am Lager des Kranken wachte, die Wunde am Oberschenkel des Mannes. Sie hatte sich binnen weniger Stunden gelbbraun verfärbt und begann an einigen Stellen bereits schwarz zu werden. Ein übel riechendes, schmutzig aussehendes Sekret trat aus dem Spalt, den die spitze Wurzel in das Bein des Meuchlers getrieben hatte. Vor Kurzem erst hatte der Mönch begonnen, ihm in regelmäßigen Abständen eine dunkelgrüne Flüssigkeit einzuflößen; einen Sud aus verschiedenen Kräutern, von dem Magnus hoffte, dass er dem Mann Linderung verschaffe. Natürlich war dies eine ungewöhnliche Fürsorge für einen Gefangenen, dem mehrere Morde zur Last gelegt wurden. Doch das hatte seine guten Gründe …
    Unmittelbar nachdem Wolf gestern mit dem Gefangenen im Stift eingetroffen war, war er vom Prior trotz der überaus späten Stunde ins Abtshaus bestellt worden. Kaum dass er das Scriptorium betreten hatte, war ihm Metschacher mit ausgebreiteten Armen entgegengeeilt und hatte ihn umarmt – ein ungewöhnlich herzlicher Empfang, der Wolf fast peinlich berührte. Die Kunde vom Sieg der Gallensteiner Truppe habe ihn noch während der Konventsversammlung erreicht, so Metschacher. Dennoch war dem Prior anzumerken, dass die gute Nachricht nicht vermocht hatte, die sorgenvollen Furchen, die der gewaltsame Tod Bruder Vitus’ in seine Stirn gegraben hatten, wieder zu glätten. Als Wolf ihn über die Gefangennahme des narbengesichtigen Meuchlers in Kenntnis setzte, der sich als Bruder des Gehorsams im Stift verdingt hatte, und den Verdacht äußerte, dass es sich bei ihm auch um den Mörder Bruder Vitus’ handeln könnte, war es mit Metschachers letztem Rest Ruhe vorbei. Erregt schickte er nach Bruder Siegbert und befahl ihm, den Gefangenen, den Wolf vorläufig in die Obhut Bruder Theobalds gegeben hatte, sofort unter Bewachung ins Klostergefängnis sperren zu lassen.
    Als für den Prior die Zeit gekommen war, sich auf die Matutin vorzubereiten, verabschiedete sich Wolf und ging ins Gästehaus hinüber, um sich zur Ruhe zu begeben. Kurz bevor die Sonne aufging, wurde er jedoch von einem der Vigilanten, der zugleich seinen Wachdienst als Pförtner des Gästehauses versah, wieder geweckt. Dem Gefangenen gehe es nicht gut, so hatte der Mönch berichtet; die Wache habe ihn darüber informiert und bitte Wolf von der Klause, nach dem Rechten zu sehen.
    Wolf war daraufhin ohne zu zögern zum Gefängnis hinübergeeilt. In der Tat hatte sich der Zustand des Gefangenen drastisch verschlechtert. Als Folge der Verletzung, die sich der Meuchelmörder bei seinem Fluchtversuch zugezogen hatte, zeigte er eine eigenartige Unruhe, die mit einem schnellen Pulsschlag einherging. Das graugelb verfärbte Gesicht sah eingefallen aus, außerdem klagte er über zunehmende Schmerzen. Wolf sah sich die Wunde an und erschrak. Sie hatte eine seltsame

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