Der Seelenhändler
gelegenen Raum betrat, wäre er fast gestolpert. Er hatte die neu im Boden eingelassene Eichenschwelle übersehen, die ein klein wenig höher war als die alte. An einer der Wände bemerkte er eine dicke, qualmende Talgkerze in einer eisernen Halterung und unmittelbar hinter der Tür einen mit Fackeln gefüllten Weidenkorb. Er nahm einen der Stäbe heraus und entzündete ihn an der brennenden Kerze. Dann schritt er die dunkle, gewendelte Steintreppe hinunter, die sich in das unterirdische Gewölbe hinabschraubte.
Unten angekommen, wich das Dunkel einem schummrigen Zwielicht. Rechter Hand von ihm durchbrach ein Lichtschacht die Gewölbedecke. Er führte schräg nach oben und mündete in eine vergitterte Fensteröffnung, durch die als breiter Streifen das Licht der Morgensonne fiel; Milliarden von Staubteilchen tanzten darin.
Im Keller herrschte Stille.
„Bruder Basilius? Bruder Theobald?“, rief Wolf.
Keine Antwort.
„Bruder Basilius! Bruder Theobald!“, rief er erneut, lauter diesmal.
Nichts rührte sich.
Wolf zuckte mit den Schultern und ging langsam weiter.
Suchend sah er sich um.
Zu seiner Linken, an der dem Lichtschacht gegenüberliegenden Wand, reihten sich riesige Fässer aus Eichenholz. Auf einem Regal, zwischen zwei Fässern, befanden sich mehrere Becher, Schöpfkellen und diverse Werkzeuge, unentbehrliches Zubehör für Bruder Basilius, den Cellerar und Kellermeister, der in regelmäßigen Abständen den wertvollen Rebensaft verkostete, um ihn auf Reife und Geschmack zu prüfen. In einer Ecke, unmittelbar an die Wand anschließend, befand sich ein Bretterverschlag; gleich daneben entdeckte Wolf einen Tisch sowie einen Schemel. Auf dem Tisch brannte eine Kerze, außerdem lagen Pergamente und Schreibzeug herum. Wolf lächelte: Basilius führte akribisch genau Buch über die Schätze seines unterirdischen Reiches.
Plötzlich zuckte er zusammen, und ein eisiger Schauer jagte über seinen Rücken.
Wie hypnotisiert starrte er auf einen Haken in der Wand.
An dem Haken hing eine Kutte.
Ungläubig trat er näher.
Der Haken selbst war wahrscheinlich schon vor Generationen in die mit modriger Feuchte behaftete Ziegelwand getrieben worden. Er ragte ungewöhnlich weit heraus und war mit dickem Rost überzogen.
Was seinen Blick jedoch magisch anzog, war nicht der rostige Haken an sich, sondern die daran hängende Kutte.
D i e Kutte!
Wolf trat ganz nah an sie heran, um sich zu vergewissern, ob das, was er da zu sehen glaubte, auch wirklich keine Täuschung war.
Nein, er hatte sich nicht getäuscht!
Die Kutte war grau und wies einen riesigen rostbraunen Flecken auf.
An der rechten Schulter war ein großes Stück herausgerissen.
Wolfs Hand zitterte leicht, als er aus seiner Gürteltasche den Stofffetzen herauszog, den er in der Höhle im Johnsbachtal geborgen hatte. In jener Nacht, als Rupert Hauensteiner den Tod gefunden hatte.
Wolf nahm die Kutte vom Haken und begab sich an die Stelle, wo das durch den Schacht einsickernde Tageslicht einen großen, hellen Fleck auf den gestampften Lehmboden warf. Als er das Kleidungsstück darauf ausbreitete, nahm er wahr, dass das Loch an seiner Schulter in etwa die Form eines Dreiecks besaß. Mit angehaltenem Atem und fliegenden Fingern faltete er den Stofffetzen auseinander und legte ihn sorgfältig auf das Loch.
Er passte haargenau!
Eine der Kutten des roten Priors lag vor ihm.
Und zwar genau jene Kutte, die er getragen hatte, als er in der Mordnacht die Höhle im Johnsbachtal verlassen und auf seinem Pferd davongeritten war.
Hastig schob Wolf den Stofffetzen in seine Gürteltasche zurück. Als er die Kutte vom Boden aufhob, um sie wieder an den Haken zu hängen, nahm er plötzlich ein dumpfes Klirren wahr und ertastete etwas Hartes unter dem Stoff. Darauf nahm er das Kleidungsstück noch einmal etwas näher in Augenschein und entdeckte dabei im unteren Bereich des Saumes eine eingenähte Tasche. Er griff hinein und förderte zwei Schlüssel zutage. Nachdenklich musterte er sie. Das durch den Fensterschacht eindringende Licht ließ das stumpfe Metall matt glänzen.
Aufgeregt blickte sich Wolf erneut in dem Gewölbe um. Der Bretterverschlag stach ihm ins Auge. Und die Tür, die in ihn hineinführte. Sie bestand ebenfalls aus Brettern, war mit mehreren Flacheisen verstärkt und verfügte über ein Schloss. Er ließ die graue Kutte einfach fallen und ging rasch zu dem Verschlag hinüber. Instinktiv wusste er, dass einer der beiden Schlüssel, die seine Hand
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