Der Seelenhändler
darf, und das ist Gott. Leider scheint die Kirche dies vergessen zu haben und verfolgt deshalb jeden, der anders denkt, als sie zu denken vorgibt. Angeblich im Auftrag des Herrn. Es geht auch nicht darum, die Philosophen zu verbieten. Oder ihre Werke zu verbrennen, nur weil man ihre Ansichten nicht teilt. Jeder sollte frei das sagen und niederschreiben dürfen, was er denkt. Und dafür wird auch jeder dem Herrn selbst Rechenschaft ablegen müssen. Doch jeder sollte auch von der Möglichkeit Gebrauch machen können, alles zu prüfen und das Gute zu behalten – auch das ist ein Ausspruch des heiligen Paulus. Was ich soeben sagte, über die Philosophie im Allgemeinen und Aristoteles im Besonderen, ist eine Meinung, die ich mir im Laufe vieler Jahre selbst gebildet habe. Doch ich werde den Teufel tun, sie laut hinauszuposaunen. Ich habe es einmal versucht, vor vielen Jahren – und bin dem Tod nur knapp entkommen. Ich bin, wenn Ihr so wollt, ein Freigeist, wenn auch ein stiller; aber bestimmt kein Märtyrer, vielleicht bin ich sogar ein Feigling – denn ich gedenke nicht, für meine Überzeugung mein Leben auf dem Scheiterhaufen zu lassen.“
Wolf war zu Ende gekommen. Er hatte sehr ruhig gesprochen und seine Worte sorgfältig gewählt, sich durchaus dessen bewusst, dass er damit der Frau, die ihn so faszinierte, einen weit reichenden Einblick in sein Innerstes gewährte.
Die Klingfurtherin hatte ihm aufmerksam zugehört. Jetzt sah sie ihn betroffen an. Vor zwei Tagen hatte der Mann, der da vor ihr saß, auf ihre Fragen hin noch jeden Hinweis auf seine Identität verweigert. Und jetzt hatte er von sich aus völlig unvermittelt einige bedeutsame Details aus seiner Vergangenheit preisgegeben. Eine Art von Offenbarung, die sie sicherlich als einen Beweis besonderen Vertrauens werten konnte. In ihrer Verlegenheit wusste sie zunächst nichts zu sagen.
Erst nach einer guten Weile wandte sie sich mit leiser Stimme an ihn.
„Ich danke Euch für Eure Offenheit, Wolf. Und ich freue mich schon auf den Abend mit Euch – unten im Burghof.“
Am Nachmittag dieses sechsundzwanzigsten Juli, um die neunte Stunde herum, wanderten, vom Buchauer Sattel herabkommend, zwei Männer am Ufer eines parallel zur Straße fließenden Baches entlang.
Heinrich und Rudlin, die beiden Wanderprediger der „Armen Christi“, befanden sich auf dem Weg nach Altenmarkt und waren in eine angeregte Unterhaltung vertieft.
Der Kleidung nach zu urteilen, konnte man sie für heimkehrende Pilger halten. Das sollte man auch. Die Muschel an der Hutkrempe, der Pilgerstab und ihr zerschlissenes Schuhwerk sollten auf den langen Weg verweisen, den sie angeblich von Santiago de Compostela bis hierher zurückgelegt hatten. In Altenmarkt beabsichtigten sie, bei „entfernten Verwandten“ zu übernachten, um am darauffolgenden Tag den Weg nach Weyer fortzusetzen.
Als sie auf der Höhe des Gehöftes angelangt waren, das der Buchbauer bewirtschaftete, sahen sie, wie ein mächtiger schwarzer Hund einen Hasen durch das hohe Gras der Wiese hetzte, die den Hof umgab. Die Männer gaben nichts darauf und schritten einfach weiter. Bis sie der Hund entdeckte. Jäh schlug er einen Haken, ließ den Hasen Hasen sein und begann mit weiten Sprüngen auf die Pilger zuzujagen.
Heinrich bemerkte die Gefahr als Erster.
„Vorsicht, gib Acht“, rief er seinem Begleiter noch erschrocken zu, aber es war bereits zu spät.
Ohne einen Laut von sich zu geben, war das Tier auch schon herangekommen und warf Rudlin mit einem gewaltigen Satz zu Boden. Reflexartig hatte dieser seine Arme vors Gesicht gerissen, während der Rüde seine Zähne in Rudlins rechte Schulter schlug und an ihm zerrte. Der Wanderprediger brüllte vor Schmerz. Heinrich drosch verzweifelt mit seinem Stab auf das Tier ein, dem das jedoch nichts auszumachen schien. Der Hund hatte zwar die Schulter Rudlins freigegeben, sich stattdessen aber in seinem Oberschenkel verbissen. Wütend hieb Heinrich weiter auf den Rüden ein, seine Schläge wurden wuchtiger. Jetzt endlich ließ der Hund von seinem Opfer ab, um sich Heinrich zuzuwenden. Dieser begann langsam rückwärtszugehen, den Stab mit beiden Händen umfassend, den Blick starr vor Angst auf den Hund gerichtet. Zähnefletschend und gefährlich knurrend folgte ihm das Tier. Langsam, in geduckter Haltung setzte es eine Pfote vor die andere – gleich würde es zum Sprung ansetzen.
Da hörte er plötzlich das dumpfe Trommeln von Hufen. Gehetzt warf Heinrich einen Blick
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