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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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verwandt“, behauptete Heinrich.
    In seinen Augen war dies nicht gelogen. In gewisser Hinsicht waren sie tatsächlich Pilger. Schließlich wanderten sie von einer Gemeinde der „Armen Christi“ zur anderen. Natürlich trugen sie die breiten Hüte, an der die Jakobsmuschel haftete, nicht ohne Grund. Jeder, der ihnen begegnete, ging, ohne dass sie etwas zu sagen brauchten, davon aus, dass sie Jakobspilger waren. So bewahrten sie sich vor einer Lüge. Der Betreffende zog selbst den Schluss, und es war nicht ihre Pflicht, ihn über ihre wahre Herkunft aufzuklären. Auch dass sie irgendwann wieder heimkehren würden, von wo sie einst aufgebrochen waren, entsprach der Wahrheit. Ebenso, dass er und Rudlin miteinander verwandt waren. Dass es sich dabei um eine rein geistige Verwandtschaft handelte, musste man nicht jedem auf die Nase binden.
    „Ihr seid also Pilger; heimkehrende Jakobspilger, nehme ich an“, nickte Wolf und betrachtete die abgerissene Muschel im Gras. „Wann seid Ihr denn von Santiago aufgebrochen?“
    „Man benötigt drei Monate von Santiago bis hierher, Herr“, entgegnete Heinrich spontan und umging so die direkte Behauptung, sie selbst seien vor drei Monaten von Santiago aufgebrochen, was schließlich nicht den Tatsachen entsprach.
    „So, so, vor drei Monaten. Und wo seid Ihr zu Hause?“
    „In Karlsberg, im Böhmischen“, entgegnete Heinrich prompt. Die Antwort entsprach der Wahrheit; sie kamen ursprünglich tatsächlich von dort.
    „Ins Böhmische wollt ihr? Da habt Ihr noch ein gewaltiges Stück Weges vor Euch“, wunderte sich Wolf.
    „So ist es, edler Herr“, erwiderte Heinrich höflich. Er hatte beschlossen, das Gespräch zu führen, was sicherlich auch in Bruder Rudlins Sinn war, der sich vor Schmerzen kaum aufrecht halten konnte.
    „Wir beabsichtigten, heute noch nach Altenmarkt zu kommen“, fuhr er fort. „Dort haben wir entfernte Verwandte, bei denen wir über Nacht bleiben wollen. Aber dorthin werden wir heute wohl nicht mehr kommen. Ich fürchte, wir werden hier irgendwo in Sankt Gallen nächtigen müssen.“
    „Nicht nur das“, bestätigte Wolf. „Ihr braucht heilkundige Hilfe. Ich schlage Euch vor, mit mir auf die Burg zu kommen. Dort wird man die Wunden Eures Onkels versorgen, und ihr bekommt ein Lager für zwei oder drei Tage, so lange, bis Ihr weiterreisen könnt.“
    „Edler Herr … wir haben … wie sollen wir das bezahlen?“
    „Bezahlen? Nun, vielleicht könnt Ihr Euch etwas nützlich machen auf der Burg. Es gibt auf Gallenstein immer etwas zu tun. Ihr selbst seid ja schließlich nicht verletzt. Ich werde mich beim Grafen für Euch verwenden.“
    „Wenn Ihr das so seht, nehmen wir das Angebot dankend an, nicht wahr … Onkel?“
    Rudlin nickte. „Ja, habt vielen Dank edler Herr. Ich werde jedoch eine Zeit lang benötigen, um mit dem kranken Bein dorthin zu gelangen. Ihr versteht, ich fühle mich sehr schwach“, sagte er mit matter Stimme.
    Wolf sah, dass der Mann nach wie vor unter starken Schmerzen litt, Schweißperlen standen auf seiner Stirn, er sah fahl aus.
    „Ihr werdet mit auf meinem Pferd reiten, während Euer Neffe zu Fuß folgen wird“, schlug Wolf vor. Dann wandte er sich an Heinrich: „Bis zur Burg ist es nicht mehr weit, wie Ihr sehen könnt.“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Gallenstein. „Und nun, helft mir, Euren Gefährten aufs Pferd zu heben!“
    Gemeinsam hoben sie Rudlin in den Sattel. Wolf schwang sich hinter ihm aufs Pferd, dann brachen sie auf. Vorher noch barg Heinrich hastig die beiden Bücher, die Rudlin verloren hatte. Dabei bedachte er Wolf mit einem eigentümlich ängstlichen Blick, der diesem jedoch nicht entging. Fürs Erste machte er sich darüber aber keine Gedanken.
    Inzwischen war er fest davon überzeugt, in den beiden Männern zumindest zwei der Verantwortlichen für das Massaker an der Familie Arnulfs vor sich zu haben. Denn dass sie ein falsches Spiel trieben, lag für ihn auf der Hand. Während sie sich Alfons gegenüber noch als „Handelsreisende“ ausgegeben hatten, behaupteten sie nun, „Pilger“ zu sein, die in Santiago de Compostela das Grab des heiligen Jakobus aufgesucht hatten und sich auf der Heimreise befanden. Eine Pilgerreise nach Santiago dauerte mindestens drei Monate, die Rückreise war ebenso lang. Vor drei Monaten seien sie von Santiago aufgebrochen, hatte der jüngere der Männer ihm weismachen wollen. Vor vier Wochen hatten sich die beiden aber bereits hier in der Gegend herumgetrieben.

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