Der Seelenleser
Ende. Ob er zu ihr kommen könne? Sie wohnte nur wenige Straßen von ihrer Praxis in Russian Hill entfernt.
Das Gebäude stammte aus den dreißiger Jahren; es hatte vor dem Eingang einen verzierten Säulenvorbau und eine Eingangshalle mit schmiedeeisernem Gitterwerk. Doch Veras Wohnung unter dem Dach war très modern eingerichtet: edle Fußböden, Sitzmöbel aus gebürstetem Chrom mit schokoladen- und rauchfarbenen Polstern, die Wände weiß auf weißgrau. Er entdeckte Bücherregale aus Glas, schlichte abstrakte Skulpturen auf Steinsockeln und einen Blick auf die Insel Alcatraz.
Draußen war es düster geworden, und Veras Stimmung passte zum Wetter. Sie standen in der Küche aus Stahl und Schiefer, die so tadellos aussah, als wäre sie noch nie benutzt worden.
Vera hatte gerade Wasser für Tee aufgesetzt, als Fane ankam, drehte es dann aber ab, als er den Tee ablehnte. Sie war einfach zu aufgeregt. Sie lehnte sich mit der Hüfte gegen einen Küchenschrank und begann, von ihrem Gespräch mit Elise Currin zu berichten, das erst eine Stunde her war.
Während Fane zuhörte, erkannte er, dass dieses letzte Gespräch für Vera die Natur der ganzen Angelegenheit geändert hatte. In ihrer Stimme lag jetzt Dringlichkeit, gepaart mit echter Sorge. Sie war nicht mehr weit von einer ausgewachsenen Panik entfernt.
Sie wandte sich ihm zu. » Dieser Mann tut etwas sehr Erschreckendes«, sagte sie. » Ich weiß es nicht. Vielleicht mache ich einen großen Fehler, indem ich den beiden nicht erzähle, was wirklich los ist.«
Er ignorierte ihre Worte. » Vergessen Sie nicht, die Mitschrift von Ihrem Gespräch mit Elise noch zu bearbeiten«, erinnerte er sie.
» Aber… Es dauert doch noch eine Woche, bis er wieder kommt«, sagte sie.
» Es könnte sein, dass er seine Meinung ändert. Was ist, wenn er wissen will, wie die Frauen auf das reagiert haben, was er ihnen beim letzten Mal angetan hat? Sorgen Sie dafür, dass in Ihren Notizen der Vorfall… heruntergespielt wird.«
» Aber er wird doch wissen, dass sie sich über das aufgeregt haben, was er getan hat. Was ist, wenn… Was ist, wenn es genau das ist, was er will? Wenn er sie aufgewühlt oder sogar in Angst sehen will?«
» Nun, genau das wollen wir ihm im Moment nicht geben«, sagte Fane. » Wir wollen nicht, dass die Angelegenheit noch mehr Tempo kriegt. Wir müssen versuchen, einen Dämpfer zu setzen.«
» Und was ist, wenn sein Unvermögen, sie aus der Fassung zu bringen, ihn im Gegenzug aus der Fassung bringt?«
» Das müssen wir riskieren. Wir wissen einfach noch nicht genug über das, was hier gerade abläuft.«
» Das geschieht alles… so plötzlich.«
» Und wir müssen versuchen, es zu kontrollieren. Sie müssen ihn durch Ihre Mitschriften mit Informationen füttern, die uns Zeit bringen. Versuchen Sie, sich in diesen Kerl hineinzuversetzen, versuchen Sie, Tempo herauszunehmen.«
Sie nickte und ließ die Augen leicht abschweifen.
» Elise weiß, dass jemand sie anruft?«, fragte Fane.
» Ja. Sie steht komplett neben sich. Ich vermute, dass Sie es einfacher mit ihr haben werden als mit Lore. Falls Sie… Sie bleiben beim gleichen Szenario, oder? Dass ich Sie nicht kenne…«
Fane nickte. » Ja, die gleiche Geschichte.« Er zog sein BlackBerry aus der Tasche. » Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich kurz in ein anderes Zimmer gehe? Ich muss jemandem diesen Namen geben.«
Sie nickte und war sofort wieder von ihren Gedanken abgelenkt. Er ging in das Wohnzimmer hinüber, wo ein mit schwarzem Marmor verkleideter offener Kamin das andere Ende des Raumes dominierte.
Er rief Noble an und berichtete ihm, dass es ein weiteres Pseudonym für ihn zu überprüfen gebe, und wählte dann Romas Nummer. Er sagte ihr, wo er gerade war.
» Elise war letzte Nacht mit diesem Typen zusammen«, sagte er, » und es war äußerst verrückt, so ähnlich wie das, was Lore durchgemacht hat. Er drückt ganz schön auf die Tube. Kümmerst du dich darum, dass Bücher jeden Abend mit deinen Leuten auf der Lauer liegt? Ich melde mich wieder, sobald ich hier fertig bin.«
Als Fane sich wieder zur Küche umdrehte, erwischte er Vera, wie sie ihr Gesicht in den Händen vergraben hatte. Sie wusste nicht, dass er sie sehen konnte. Einen Augenblick lang dachte er, sie würde weinen, doch als sie wieder aufblickte, schüttelte sie nur langsam den Kopf.
Er hielt den Blick auf sein BlackBerry gesenkt, als er zurückging, da er wusste, dass sie ihn im Augenwinkel sehen würde. Als er die
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