Der Seelenleser
keinen Parkplatz direkt vor ihrer Wohnung finden würde und zumindest eine kurze Strecke zu Fuß gehen müsste.
Die Häuser standen hier dicht beisammen– eine bunte Mischung aus dreistöckigen viktorianischen und einfachen lehmverputzten Gebäuden. Celia musste eine Querstraße weiterfahren, bis sie einen Parkplatz am Straßenrand fand. Roma fuhr an ihr vorbei und parkte im Parkverbot an einem Hydranten vor Celias Wohnung.
Roma stieg aus, trat auf den Bürgersteig und öffnete die Beifahrertür, scheinbar um etwas vom Rücksitz zu holen. Erst in dem Moment, als sich Celia unter dem Blätterdach der Birkenfeigen näherte und nur noch wenige Schritte von Romas Auto entfernt war, drehte sich Roma um.
» Celia!«, sagte sie, als wäre sie überrascht, sie hier zu treffen.
Celia blickte auf, lächelte reflexartig und knipste das Lächeln sofort wieder aus, als sie merkte, dass sie die Frau nicht kannte.
Romas Augen lenkten Celias Aufmerksamkeit auf ein aufgeklapptes Etui, das sie diskret in der Hand hielt. Die goldene Plakette und die großen Buchstaben » FBI « waren auch im abnehmenden Licht noch deutlich erkennbar.
» Ich bin Linda«, sagte Roma.
Celia schaute mit offenstehendem Mund und schuldbewusstem Gesichtsausdruck hoch. Sie sah aus, als ob sie gleich türmen wollte.
» Warten Sie kurz«, ermahnte Roma sie. » Entspannen Sie sich.«
Celia war attraktiv, eine Mischung aus südamerikanischem und afrikanischem Blut, schätzte Roma. Sie hatte dichtes krauses Haar, das sie bändigte, indem sie es straff nach hinten bürstete und im Nacken zusammenfasste. Sie trug große silberne Kreolen.
» Tun Sie einfach so, als ob wir Freundinnen wären«, sagte Roma. » Es muss keiner etwas davon erfahren.«
» Was ist los?«
» Ich möchte Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Daher würde es mich freuen, wenn Sie kurz mit ins Auto steigen würden.«
Celia blickte zur geöffneten Autotür und der leeren Rückbank. Die Frau war alleine und wirkte daher nicht sonderlich bedrohlich.
» Fragen worüber?«
» Bitte«, sagte Roma. Celia zögerte.
Roma lächelte wieder. » Celia, wir haben Überwachungsvideos von letzter Nacht, die Sie in Dr. Vera Lists Praxis zeigen.«
Celia musste schlucken und schob die Tüte mit den Einkäufen in den anderen Arm. Sie blickte den abschüssigen Bürgersteig hinunter. » Scheiße«, fluchte sie. Dann stieg sie ein.
Sie fuhren von der Pomroit hinunter auf die Clarendon Avenue und dort in Richtung Laguna Honda. Es herrschte starker Verkehr, und Celia schwieg, während sie sich langsam durch die Randgebiete von Forest Hill und Miraloma Park bewegten. Als sie endlich auf der langsam zur Küste hin abfallenden Taraval Street ankamen, stieg bereits der Nebel vom Pazifik auf und verschluckte sie in der Dämmerung, direkt unter dem unscharf schimmernden neonblauen Schild des Sunset Motels.
Roma parkte am Straßenrand. Sie ließen die Lebensmittel im Auto und gingen in das kleine Büro des Motels. Der ins Fernsehprogramm vertiefte Nachtportier blickte kurz auf und vertiefte sich dann wieder in das Geschehen auf dem Bildschirm. Roma und Celia gingen nach draußen und die Treppen zu den kleinen Anbauten hinunter.
Raum sechsundzwanzig. Roma klopfte an, und sie traten ein.
» Hallo«, sagte Fane und ging auf Celia zu. » Ich bin Townsend.« Er zeigte ihr seinen Ausweis. Seinen Mantel hatte er über eine Stuhllehne gehängt.
Celias Blick schweifte kurz über den Ausweis, blieben dann aber an Fane hängen.
Er machte eine Geste zu einem Nachttisch hinüber. » Es ist Kaffee da.«
Celia schüttelte den Kopf, dann sah sie den Laptop auf dem Bett. Fane ging hinüber und drückte eine Taste, um das Überwachungsvideo zu starten, auf dem zu sehen war, wie Celia in Vera Lists Praxis eindrang. Fünf Minuten später drückte Fane wieder eine Taste, um Celias Bild mitten in der Bewegung festzuhalten.
Celia hatte sich keinen Zentimeter bewegt, seitdem sie den Raum betreten hatte. Fane zog ihr einen Stuhl herüber, und sie setzte sich. Er schob den Laptop zurück und setzte sich ihr gegenüber auf das Bettende.
Celia schaute ihn an.
» Das hier ist mir relativ egal«, sagte Fane und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Laptops.
» Oh wirklich?«, sagte Celia höhnisch.
» Wie ich sagte.« Er nahm einen Schluck Kaffee. » Warum erzählen Sie mir nicht einfach Ihre Version der Geschichte?«
Celia warf einen Blick zu Roma hinüber, die in ihrem Kaffee rührte und Celia anschaute. Dann schaute sie
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