Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Paul
Vom Netzwerk:
vergangenen Nacht die Unterlagen geholt hatte, und er erinnerte sie an die Planung, wie alles ablaufen sollte, sobald Kroll anrief. Sie war relativ ruhig, doch in ihrer Stimme klang auch Sorge mit. Sie erwähnte nicht, dass Lore bei ihr war.
    Dann rief er Lore an. Das Telefonat folgte dem gleichen Muster, doch es war auffallend, dass sie untypisch kleinlaut war. Auch sie sagte nicht, wo sie sich gerade befand, und Fane ließ es dabei bewenden.
    Er machte sich ein kleines Mittagessen: Ein Glas Mourvèdre, dazu ein bisschen spanischer Käse, Ciabatta und Oliven. Es beunruhigte ihn doch ein wenig, dass weder Elise noch Lore erwähnt hatten, dass sie beisammen waren. Gab es da etwas, das er wissen müsste?
    Graues Licht strömte von draußen in sein Arbeitszimmer. Er legte Trois Gnossiennes von Erik Satie auf und setzte sich, um sich in seine Fotobücher zu vertiefen. Die verträumte Klaviermusik schwebte durch die Stunden des Nachmittags und wurde nur von unregelmäßigen Regenschauern und gelegentlichen Telefonanrufen unterbrochen. Gelegentlich warf Fane einen Blick auf seinen Computerbildschirm.
    Später legte er Alice von Tom Waits auf und nahm ein anderes Buch mit Porträts vom Stapel auf dem Polsterhocker. Trotz der Musik und der Bücher waren seine Gedanken rastlos. Wie auch Vera konnte er die vielen Möglichkeiten nicht ausblenden. Sie waren intellektuell so verführerisch wie Träume, die unbedingt gedeutet werden wollten.
    » Ray hier.«
    Elise warf einen schnellen Blick zu Lore hinüber. » Ray?«
    Lore stand wie erstarrt. Sie hatten sich gerade einen Drink eingeschenkt und wollten es sich gemütlich machen.
    » Wie geht es dir?«, fragte Kroll.
    Das hatte sie nicht erwartet. Das war keine Frage, die Ray normalerweise stellen würde.
    » Du machst wohl Witze.« Sie war überrascht, wie viel Gift in ihrer Stimme war. Lore gab wilde Zeichen. Sie schaltete auf laut.
    » Wie bitte?«, fragte Kroll überrascht.
    » Wie es mir geh t ?«
    Eine Weile war von ihm nichts zu hören. Sie stellte sich vor, wie er gerade seine Gedanken korrigierte, sein Vorgehen anpasste.
    » Hast du mich auf Lautsprecher gestellt?«, fragte er mit Misstrauen in der Stimme.
    » Oh ja«, sagte Elise, der zum Glück eine Erklärung eingefallen war. » Ich putze mir gerade die Nase. Ich habe… Ich… bin völlig durcheinander«, stammelte sie schließlich.
    » Hast du geweint?« Er klang nicht besorgt, nur neugierig.
    Sie antwortete nicht.
    » Was ist los?«, bohrte er nach.
    » Oh verdammt!« Sie konnte nicht anders, sie musste ihn anschreien.
    » Hör mal«, sagte er, » falls du immer noch durcheinander bist wegen…«
    » Immer noch? Herrgott, Ray, was meinst du mit › immer noch‹? Du hast… Weißt du noch, was du getan hast? Was glaubst du, soll ich davon halten?«
    Elise hielt inne. Was zum Teufel tat sie da? Sie musste sich an das Drehbuch halten, das sie am Vortag bei Vera in der Praxis ausgearbeitet hatten. Sie durfte den Kontext des Szenarios nicht vergessen, das sie in den gefälschten Eintragungen beschrieben hatten, und auch in dem Tonfall bleiben, den das Drehbuch für sie vorsah. Sie musste jetzt depressiv und selbstmordgefährdet sein. Nicht ängstlich, nicht aufmüpfig.
    Sie dachte an die Zusammenkunft in Veras Praxis zurück, an Townsends Worte, an seine Anweisungen. Ich muss ihn nur dazu bringen, dass er sich irgendwo mit mir trifft, damit Townsends Leute Gelegenheit haben, sich an seine Fersen zu heften.
    Aber als sie jetzt plötzlich seine Stimme hörte, war sie zugleich wütend und wie gelähmt. Sie wusste, dass der Mann ihre Denkstrukturen kannte, ihre Gefühle. Er würde die ganze Geschichte sofort durchschauen, egal was sie tat.
    » Ray… Ich bin… Ich kann darüber nicht reden. Es ist… nur…« Sie hielt inne, überrascht und verwirrt, und überrascht, verwirrt zu sein. Das Rollenspiel war einfach zu kompliziert: ihn Ray zu nennen, obwohl sie wusste, dass er Ryan hieß; im Kontext des falschen Szenarios zu bleiben, obwohl sie wusste, dass die Realität ganz anders war; das Vortäuschen von Verzweiflung, obwohl sie eigentlich wütend war. Und nicht nur wütend, auch verletzt, fassungslos und verängstigt. Verdammt, warum hatte er nicht Lore angerufen? Sie konnte spielen, sie könnte ihn leicht zu einem Treffen überreden. Warum hatte er nicht Lore angerufen?
    Sie warf Lore einen verzweifelten Blick zu, die auf Elises Schweigen mit einem fragenden, teilnahmsvollen Blick antwortete. Was? Was?
    » Ich kann das

Weitere Kostenlose Bücher