Der Seelensammler
diese Gegenstände
gehörten nicht zu ihren gemeinsamen Erinnerungen, im Gegenteil: Sie waren der
Grund, warum David nicht mehr lebte. Deshalb würde sie sich damit leichter tun.
Bevor sie loslegte, fiel ihr ein, dass es eine Liste dieser Dinge
gab. Sie befand sich in Davids Kommodenschublade, sein Merkzettel, wenn er für
eine neue Reise packte. Sandra holte sie und begann mit der Überprüfung.
Zunächst zog sie Davids zweite Spiegelreflexkamera hervor. Die
andere war bei seinem Sturz zu Bruch gegangen. Es war eine Canon; Sandra
bevorzugte Nikons. Über dieses Thema hatten sie ewig diskutieren können.
Sie schaltete die Kamera ein. Die Speicherkarte war leer.
Sie lud die verschiedenen Geräte auf, deren Akkus mittlerweile leer
waren. Dann kontrollierte sie sie. Der letzte Anruf auf dem Satellitentelefon
war schon eine Ewigkeit her und somit uninteressant. Das Handy hatte sie schon
in Rom überprüft, als sie Davids Leiche identifizieren musste. Ihr Mann hatte
es ausschließlich für Taxireservierungen und für den letzten Anruf auf ihrer
Mailbox benutzt: Hier in Oslo ist es schweinekalt. Ansonsten schien er keine Kontakte zur Außenwelt gehabt zu haben.
Sandra schaltete das Notebook ein, in der Hoffnung, wenigstens darin
etwas zu finden. Aber es enthielt nur alte, unbedeutende Dateien. Auch im
E-Mail-Empfangsordner fand sich nichts von Interesse. In keinem Dokument und in
keiner Mail erwähnte David, warum er in Rom war.
Wozu diese Geheimniskrämerei?, fragte sie sich. Wieder quälten sie
die Zweifel, die sie die ganze Nacht wach gehalten hatten.
Traute sie ihrem Mann zu Recht, oder hatte er etwas zu verbergen?
»Du kannst mich mal, Schalber!«, murmelte sie erneut beim Gedanken
an den Mann, der diese Zweifel in ihr gesät hatte.
Sie kehrte zum Seesack zurück und holte die Dinge hervor, die sie
zunächst außer Acht gelassen hatte: das Mehrzwecktaschenmesser zum Beispiel und
die Teleobjektive. Dabei stieß sie auf einen Kalender mit Ledereinband. Er war
schon sehr alt und abgewetzt. Jedes Jahr tauschte David nur das Innenteil aus.
Er gehörte zu den Sachen, von denen er sich einfach nicht trennen konnte, wie
die braunen abgelaufenen Flipflops oder der verfilzte Rolli, den er immer anhatte,
wenn er an seinem Computer saß und schrieb. Sandra hatte zigmal versucht, diese
Dinge auszusortieren. Ein paar Tage lang gab er vor, nichts zu merken, doch
dann spürte er sie immer wieder in ihren Verstecken auf.
Bei dem Gedanken daran musste sie lächeln. So war David nun mal. Ein
anderer Mann hätte heftig protestiert, doch er erwähnte ihre kleinen Übergriffe
nie. Um dann seelenruhig weiterzumachen wie bisher.
Sandra schlug den Kalender auf. Auf den Seiten, die Davids
Romaufenthalt betrafen, hatte er einige Adressen notiert. Die gleichen hatte er
auch auf einem Stadtplan markiert. Es waren ungefähr zwanzig.
Während sie darüber nachgrübelte, fiel ihr auf, dass der Sack noch
einen Gegenstand enthielt, der nicht auf dem Merkzettel stand: ein Funkgerät.
Instinktiv kontrollierte sie die Frequenz: Frequenz 81, aber das sagte ihr
nichts.
Wozu brauchte David ein Sende- und Empfangsgerät?
Als sie die übrigen Sachen durchging, merkte sie, dass etwas fehlte:
das kleine Aufnahmegerät, das David stets bei sich trug. Er hatte es immer als
sein zweites Gedächtnis bezeichnet. Trotzdem hatte er es bei dem Sturz, der ihn
das Leben gekostet hatte, nicht bei sich getragen. Er konnte es bei unzähligen
Gelegenheiten verloren haben. Sandra beschloss, sich eine Notiz zu machen.
Bevor sie mit ihrer Durchsuchung fortfuhr, überschlug sie kurz, was
sie bisher herausgefunden hatte.
Sie hatte Adressen in einem Kalender und auf einem Stadtplan
gefunden. Ein Funkgerät, das auf eine geheimnisvolle Frequenz eingestellt war.
Und es fehlte Davids Aufnahmegerät, auf dem er Gesprächsnotizen festhielt.
Während sie nach einer logischen Erklärung für all das suchte, wurde
sie plötzlich ganz verzagt: Direkt nach dem Unfall hatte sie bei Reuters und
Associated Press – den beiden Agenturen, für die ihr Mann normalerweise
arbeitete – nachgefragt. Sie hatte wissen wollen, ob er in ihrem Auftrag in Rom
gewesen war. Beide hatten verneint. Er war auf eigene Faust unterwegs gewesen.
Es war natürlich nicht das erste Mal gewesen, dass er für sich recherchierte,
um seine Arbeit anschließend an den Meistbietenden zu verkaufen. Aber Sandra
hatte so das dumpfe Gefühl, dass diesmal mehr dahintersteckte. Etwas, das sie
vielleicht gar
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