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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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wiederkehrenden Albtraum zu
entkommen, in dem er zusammen mit Devok starb? Das nur langsam vorankommende
öffentliche Verkehrsmittel wiegte ihn regelrecht in den Schlaf. Er hatte das
Gefühl, von einer unsichtbaren Macht beschützt zu werden, und fühlte sich in Sicherheit.
    Als das einlullende Motorengebrumm für Minuten verstummte und die
Passagiere um ihn herum plötzlich laut wurden, öffnete er die Augen.
    Sie hatten tatsächlich gehalten, und einige Passagiere beschwerten
sich über die durch den Stau verursachte Verspätung. Marcus sah aus dem Fenster
und versuchte zu ergründen, wo er sich befand. Er erkannte die grauen Mietskasernen
am Ring, erhob sich von seinem Platz und ging vor zum Fahrer. Der hatte den
Motor zwar nicht abgestellt, aber die Arme verschränkt.
    »Was ist denn los?«, fragte Marcus.
    »Ein Unfall«, erwiderte sein Gegenüber. »Ich fürchte, es dauert noch
eine Weile, bis wir weiterfahren können.«
    Marcus betrachtete die Fahrzeuge vor ihnen. Eines nach dem anderen
passierte die Stelle, an der sich der Unfall ereignet hatte. Anscheinend waren
mehrere Fahrzeuge darin verwickelt.
    Der Bus kam nur mühsam vorwärts. Als er endlich an der Reihe war,
mahnte ein Polizist mit einer Kelle zur Eile. Der Fahrer passierte die
Engstelle. Marcus stand genau neben ihm, als sie an dem verzogenen,
ausgebrannten Blechhaufen vorbeikamen. Die Feuerwehr war noch damit
beschäftigt, den Brand zu löschen.
    An einem Stück Kofferraum, das von den Flammen verschont geblieben
war, erkannte Marcus Ranieris grünen Subaru. Die Leiche des Fahrers im
Wageninneren war mit einem Tuch verhüllt worden.
    Jetzt verstand Marcus, warum der Wagen des Detektivs Schmieröl
verloren hatte. Er hatte sich geirrt: Die Ölflecken hatten nichts mit dem Ort
zu tun, an dem Ranieri vorher gewesen war. Es musste sich dabei um Bremsöl
handeln: Jemand hatte die Bremsen manipuliert.
    Der Unfall war alles andere als ein simpler Unglücksfall.

17 Uhr 07
    Das Lied war eindeutig eine Botschaft an sie: Vergiss es!
Lass die Sache auf sich beruhen, denn glaub mir, das ist besser für dich.
Vielleicht bedeutete es aber auch genau das Gegenteil: Los, komm und such mich!
    Der Duschstrahl massierte Sandras Nacken. Sie stand regungslos und
mit geschlossenen Augen darunter, die Hände auf die Wandfliesen gestützt. In
ihrem Kopf hörte sie immer wieder die Melodie von Cheek to
Cheek sowie Davids letzte Worte, die das Aufnahmegerät mitgeschnitten
hatte.
    »Warte! Warte! Warte!«
    Sie hatte beschlossen, nicht mehr zu weinen, bevor diese Sache nicht
aufgeklärt war. Sie hatte Angst, war aber nicht bereit aufzugeben, denn jetzt
wusste sie Bescheid.
    Irgendjemand war für den Tod ihres Mannes verantwortlich.
    Als tief getroffene Ehefrau konnte man sich leicht fälschlicherweise
einbilden, dass es damit ein Allheilmittel gegen den unvermeidlichen Schmerz
gab. Dennoch: Die Vorstellung, dass sie etwas tun konnte, um diesen ebenso
absurden wie unfairen Verlust wenigstens ansatzweise zu sühnen, war irgendwie
tröstlich für sie.
    Sandra hatte sich ein Zimmer in einem bescheidenen Einsternehotel
unweit der Stazione Termini genommen, das oft von Pilgergruppen besucht wurde.
    Auch David hatte hier gewohnt, als er in Rom gewesen war. Sandra
hatte um dasselbe Zimmer gebeten, das zum Glück frei gewesen war. Für ihre
Ermittlungen musste sie sich im selben Umfeld bewegen wie er.
    Warum war sie, nachdem sie die Aufnahme gehört hatte, nicht gleich
zur Polizei gegangen und hatte Anzeige erstattet? Nicht, weil sie ihren
Kollegen misstraute, das nicht. Der Ehemann einer Mitarbeiterin war ermordet
worden, und solche Fälle wurden bevorzugt behandelt. Das war eine Art
ungeschriebenes Gesetz, so etwas wie ein Ehrenkodex. Wenigstens De Michelis
hätte sie einweihen können. Aber sie sagte sich immer wieder, dass sie erst
noch weitere Beweise zusammentragen wollte, um ihnen die Arbeit zu erleichtern.
Dabei war der wahre Grund ein ganz anderer, auch wenn sie das nur ungern zugab.
    Sie verließ die Dusche und wickelte sich in ihr Frottiertuch.
Tropfnass ging sie in ihr Zimmer, legte den Koffer aufs Bett und räumte ihn
aus, bis sie fand, was sie ganz unten verstaut hatte.
    Ihre Dienstpistole. Sie kontrollierte das Magazin und die Sicherung
und legte die Waffe anschließend auf ihren Nachttisch. Von nun an würde sie sie
stets bei sich tragen.
    Im Slip packte sie den Rest des Koffers aus. Sie nahm den kleinen
Fernseher von der Konsole und legte stattdessen das Funkgerät,

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