Der Seelensammler
osteuropäische
Schmugglerbande ermittelt. Doch leider hatte er die schlechte Angewohnheit,
nicht alle Informationen an mich weiterzugeben, weil er unbedingt Karriere
machen wollte. Er nahm eine Woche Urlaub und behauptete, mit seiner Frau eine
Kreuzfahrt zu machen. Stattdessen betätigte er sich als verdeckter Ermittler,
flog aber auf. Diese Verbrecher haben ihn drei Tage und drei Nächte lang
gefoltert, schließlich bestand nicht die Gefahr, dass jemand nach ihm suchte.
Anschließend haben sie ihn umgebracht. Hätte er mir vertraut, würde er heute
noch leben.«
»Eine hübsche Anekdote! Wetten, die erzählen Sie immer, wenn Sie
eine Frau beeindrucken wollen?«, sagte Sandra zynisch.
Ȇberlegen Sie es sich gut! Jeder von uns braucht jemanden. Ich
werde Sie morgen noch einmal anrufen, damit wir uns zum Kaffee verabreden
können.«
Er legte auf. Sandra überlegte, was er wohl damit gemeint hatte,
dass jeder jemanden brauche. Denn der Einzige, den sie brauchte, war nicht mehr
am Leben. Und David? Wen hatte er gebraucht? Wieso war sie sich eigentlich so
sicher, dass die Hinweise, die er vor seinem Tod hinterlassen hatte, für sie
bestimmt waren?
Als er noch lebte, hatte er sie bei sämtlichen Recherchen außen vor
gelassen. Er hatte ihr nie erzählt, welche Risiken er einging. Und in Rom, war
er da allein unterwegs gewesen? Auf Davids Handy waren keine Anrufe mit unbekannter
Nummer verzeichnet. Anscheinend hatte er zu niemandem Kontakt gehabt. Aber was,
wenn ihm doch jemand geholfen hatte?
Als ihr Blick auf das Funkgerät fiel, verstärkten sich ihre Zweifel.
Sie hatte sich schon einmal gefragt, was David damit gewollt hatte. Hatte er
damit kommunziert?
Sandra stand auf und ging zur Konsole. Sie nahm das Funkgerät in die
Hand und betrachtete es plötzlich mit anderen Augen. Es war auf die Frequenz 81
eingestellt. Vielleicht hätte sie es anlassen sollen. Vielleicht hätte dann
jemand Kontakt zu ihr aufgenommen.
Sie schaltete es ein und drehte den Lautsprecher auf, ohne damit zu
rechnen, etwas zu hören. Sie stellte es wieder auf die Konsole und drehte sich
zu ihrem Koffer um, um ihn ganz auszupacken.
In diesem Moment bekam sie Funkkontakt.
Sie hörte die kühle, monotone Stimme einer Frau. Sie berichtete von
einer Schlägerei unter Drogenschmugglern in der Via Nomentana. Streifenwagen,
die gerade in der Gegend seien, sollten intervenieren.
Sandra fuhr herum und starrte das Funkgerät an. Es war auf die
Frequenz eingestellt, auf der die römische Polizei mit ihren mobilen Einsatzkommandos
kommunizierte.
Jetzt begriff sie auch, was die Adressen in Davids Kalender zu
bedeuten hatten.
19 Uhr 47
Marcus kehrte auf den Dachboden in der Via dei Serpenti zurück.
Ohne das Licht anzuschalten und den Regenmantel auszuziehen, legte er sich aufs
Bett und kauerte sich zusammen, die Hände zwischen die Knie geschoben.
Allmählich machten sich die schlaflosen Nächte bemerkbar, außerdem spürte er
nach wie vor die sich ankündigende Migräne.
Der Tod des Privatdetektivs hatte seine Ermittlungen in eine
Sackgasse geführt. All seine Mühe war umsonst gewesen.
Was hatte Ranieri am Vormittag aus dem Safe in seinem Büro geholt?
Doch was es auch war – mit großer Wahrscheinlichkeit war es in dem
brennenden Auto zerstört worden. Deshalb holte Marcus nun die Mappe mit dem
Aktenzeichen c.g. 796-74-8 aus seiner Tasche, die ihn
wohl nicht mehr weiterbringen würde. Er warf sie zu Boden, und ein paar Blätter
fielen heraus. Der Mond beschien die Gesichter derjenigen, die in einen nunmehr
fast zwanzig Jahre zurückliegenden Mord verstrickt waren. Es war einfach zu
viel Zeit vergangen, um die Wahrheit jetzt noch ans Licht zu bringen. Dabei
hätte er sich sogar damit begnügt, ohne Gerechtigkeit zu fordern. Doch nun
musste er wieder ganz von vorn anfangen. Und dabei hatte Lara oberste
Priorität.
Valeria Altieri sah ihn vom Foto in einer Illustrierten her an. Sie
lächelte auf einem Geburtstagsfoto und sah äußerst elegant aus. Das Kleid, das
sie trug, brachte ihr blondes Haar und ihre Figur voll zur Geltung. Ihr Blick
war beinahe hypnotisch.
Valeria hatte ihre Schönheit mit dem Tod bezahlt.
Wäre sie weniger attraktiv gewesen, hätte ihr Mörder sich vielleicht
nicht für sie interessiert.
Marcus überlegte, warum ausgerechnet sie zum Opfer wurde. Genau wie
Lara, die Jeremiah Smith aus irgendeinem unerfindlichen Grund dazu erkoren
hatte.
Bisher hatte Marcus in Valeria nur Raffaeles Mutter gesehen. Nachdem
er die
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