Der Seher des Pharao
sie sich wechselseitig Zugeständnisse.
In einem Ausbruch von Zuneigung schenkte er ihr seinen Hund. Er hätte ihr gern den Elfenbein-Affen zukommen lassen, aber sein Vater weigerte sich empört, das gutzuheißen. »Dein Onkel hat Gold für dieses Spielzeug gegeben«, erklärte er Huy. »Es war sehr teuer. Was würde er sagen, wenn er zu Besuch käme und sehen müsste, dass Ischat damit spielt? Warum magst du es nicht, du dummer Junge?« Huy hatte keine Erklärung dafür. Er wusste nur, dass er ihm im Lauf der Zeit immer mehr Furcht einflößte. Anfangs hatte er, wenn er schlafen wollte, dem idiotischen Grinsen einfach den Rücken zugekehrt, doch die Aura schierer Bösartigkeit, die das Tier umgab, schien sich mit jedem Tag weiter im Zimmer auszubreiten. Er stellte den Affen unter das Bett – aber ihn nicht sehen zu können, war noch schlimmer. Was, wenn der Affe von allein da unter ihm zu klatschen begänne? Er wusste, dass es albern war, dass es sich nur um ein Stück lebloser Materie handelte (auch wenn er es nicht mit diesen Worten ausdrücken konnte), aber man hatte ihm auch gesagt, dass die Kas der Götter in ihren Abbildern wohnten und so den Stein zum Leben erweckten, und seine Angst wuchs. Was, wenn einer von Thots heiligen Pavianen reizbar und rastlos war und keine Kinder mochte? Was, wenn sein Ka seine Heimstatt verlassen und dieses Elfenbeinspielzeug irgendwo in einer Werkstatt gefunden hatte und hineingeschlüpft war, um jeden kleinen Jungen zu quälen, der es besaß?
»Trag ihn mit dir herum als würdest du ihn lieben«, hatte ihm Ischat nüchtern geraten, als er ihr von seinen Ängsten erzählte. »Und wenn niemand zusieht, lässt du ihn auf einen großen Stein fallen. Falls du Glück hast, zerspringen seine Gliedmaßen, statt bloß abzureißen, und er kann nicht mehr repariert werden. Und du kannst dann lügen und sagen, es sei ein Versehen gewesen.« Huy hatte keine Skrupel, gelegentlich zu lügen, aber die Vorstellung, den Affen auch nur kurze Zeit auf seiner Haut zu spüren, konnte er nicht ertragen. Schließlich vergrub er ihn in der Kleiderkiste unter all seinen Lendentüchern und Schurzen. Natürlich entdeckte ihn Hapsefa dort, aber sie sagte nichts. Vielleicht mag sie ihn auch nicht, überlegte Huy.
So gingen die Tage ins Land. Zu Beginn der dritten Woche von Huys Geburtstagsmonat Paophi war überall das Amun-Fest des Nilgottes Hapi gefeiert worden, der für eine gute Überschwemmung gesorgt hatte, was wiederum eine reiche Ernte in diesem Jahr verhieß. Die Hitze wurde erträglicher, als der Fluss (zusammen mit der Menge der Fliegen und Mücken) weiter anschwoll. Aus Paophi wurde Athyr, und immer noch stieg das Wasser, erstreckte sich über die Felder und reflektierte verzerrt das Bild der Bäume, die vereinzelt aus der stillen Fläche ragten.
Am ersten Tag des Monats Choiak wurde im ganzen Land das Fest der Liebes-und Schönheitsgöttin Hathor begangen. Damit begann ein Monat religiöser Pflichten, ein Wirbel von Kulthandlungen innerhalb und außerhalb der Tempel, darunter drei feierliche, wichtige Rituale für Osiris, doch Hapus Lieblingsfest – und das einzige, an dem er gern aktiv teilnahm – war das Hacken der Erde, denn es bedeutete, dass sich das Wasser endlich zurückzog und die Blumenfelder mit einer wadenhohen Schlammschicht zurückließ. Bald darauf konnten er und die anderen Bauern mit der Aussaat beginnen.
Huy hatte den Gedanken an seine drohende Abreise weit weggeschoben und vergnügte sich damit, Frösche zu fangen, mit Ischat zu spielen oder zusammen mit seinem Vater am Senet-Brett zu sitzen. Er hatte das Spiel rasch erlernt, fand es aber schwer zu gewinnen. Hapu machte keine Zugeständnisse an sein Alter. Viele Male musste Huy mit Tränen der Wut in den Augen zusehen, wie seine Spulen rücksichtslos eine nach der anderen auf das Wasserfeld gestürzt wurden, bis er schließlich verloren hatte und sie auf den Boden fegte. Hapu blieb ungerührt, befahl seinem Sohn, sie aufzuheben und wieder auf das Brett zu stellen. Doch an dem Tag, als Huy ihn zum ersten Mal schlug, brüllte er vor Lachen, zog seinen Sohn vom Kissen hoch, schwang ihn über seinem Kopf und umarmte ihn heftig. Von da an freute sich Huy auf ihren Wettstreit und reagierte mit viel größerer Gelassenheit, wenn er verlor.
Doch am Ende des Choiak war Hapu meist auf den Feldern zu finden, wo er die Dämme durchstieß, sodass das kostbare Wasser abfließen konnte und die nackte Erde zurückblieb. Traurig dachte
Weitere Kostenlose Bücher