Der Seher des Pharao
Huy daran, dass nun der Tybi unmittelbar bevorstand und damit auch der Zeitpunkt, an dem er sein Elternhaus zum ersten Mal verlassen musste. »Wie schrecklich«, sagte Ischat, als er ihr erzählte, wie wenige Tage ihm noch blieben. »Ich möchte nie weiter weg, als bis zum Markt gehen, und ganz gewiss will ich nicht Lesen und Schreiben lernen. Warum sollte ich auch?« Doch als sie seinen Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: »Armer Huy! Ich werde jeden Tag beten, dass du die Schule schnell beendest, nach Hause kommst und ich nicht mehr allein bin.« Huy glaubte nicht, dass Lesen und Schreiben zu lernen etwas war, was schnell ging. Plötzlich überkam ihn Eifersucht angesichts ihrer Freiheit, und deshalb sagte er ihr nicht, wie sehr er sie vermissen würde.
In den Tagen vor seiner Abreise sah er seinen Vater kaum. Hapu stand früh auf, aß wenig und war schon auf den Feldern, wenn Hapsefa die Läden vor Huys Fenster öffnete. Morgens war es jetzt kühl, und häufig rannte Huy in das Zimmer seiner Eltern, kletterte in ihr Bett und kuschelte sich an Itu, die noch döste und nicht aufstehen wollte. Manchmal schlief Huy in ihrem Arm noch einmal ein und merkte nicht, dass sie lautlos weinte, während sie seinen warmen Kinderduft einsog, weil sie wusste, dass es nie wieder dasselbe wäre, egal, wie oft sie ihn künftig noch umarmen durfte. Seine Kindheit war nahezu vorbei.
Sein Vater gab ihm einen großen Lederbeutel für seine Kleider und Schuhe und einen kleineren für die persönlichen Dinge, die zwar nicht notwendig waren, die er aber gern dabeihätte. Hapsefa und seine Mutter kümmerten sich um den größeren und packten Lendentücher, neue Schurze und Hemden, einen Kamm und einen schlichten Kupferspiegel, Soda und Leinentücher zum Waschen hinein, außerdem seinen Trinkbecher, ein Messer und eine Schüssel. Itu machte sich beständig irgendwelche Sorgen. Würde ihm jemand beim Anziehen helfen, seine Kleider waschen oder seine Sandalen binden, wenn er sie verknotet hätte – und was, wenn er krank würde? Würde sich jemand um ihn kümmern oder es überhaupt bemerken? Ganz sicher könnte ihm die Schule in Hut-Herib auch eine angemessene Bildung vermitteln! Hapsefa war klug genug, nicht auf Itus ängstliche Fragen einzugehen, auf die es sowieso keine Antwort gab. Und Hapu, der abends müde und schmutzig von den Feldern kam, versicherte ihr nur beständig, dass viele Jungen eine Ausbildung in Iunu durchlaufen und keinen Schaden genommen hätten, dass Huy gesund und kräftig sei und Ker nicht nur versprochen habe, Huy sicher zum Tempel zu bringen, sondern auch, ihn im ersten halben Jahr so oft wie möglich in Iunu zu besuchen.
Huy packte zuerst das Senet-Spiel und seine Farben in seinen Beutel. Er überlegte, ob man ihm erlauben würde, die Wände im Tempel zu bemalen. Er war jetzt in der Lage, seinen Namen zu schreiben, und der prangte nun nicht nur an der Tür seines Zimmers, sondern auch an jeder Außenmauer des Hauses. In das Zedernkästchen kamen der Skarabäus und sein Nefer-Amulett. Die anderen Fächer blieben leer, und Huy fragte sich, welche wertvollen Trophäen sie in den kommenden Jahren füllen mochten. Den verhassten Affen ließ er auf dem Tisch neben seinem Bett stehen. »Er wird mich dann begrüßen, wenn ich nach Hause komme«, sagte er scheinheilig zu Itu. »Er könnte gestohlen werden, wenn ich ihn mitnehme.« Hapsefa hüstelte diskret und wandte sich wieder dem Packen zu.
Seine Mutter lächelte. »Das ist sehr umsichtig von dir, Huy.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich sorge dafür, dass ihm nichts passiert.« Ihre Blicke trafen sich, und Huy fragte sich zum ersten Mal, ob sie je irgendeine seiner Lügen geglaubt hatte.
Viel zu schnell wusch ihn Hapsefa dann zum letzten Mal, kam seine Mutter zum letzen Mal, um ihm einen Gutenachtkuss zu geben, legte er sich, wie er mit einem kalten Schauder dachte, zum letzten Mal zum Schlafen in sein Kinderbett. »Ker holt dich morgen früh ab«, erklärte ihm Itu. »Er wird dich direkt in den Tempel bringen und mit dem Priester sprechen, der für deine Klasse zuständig ist. Sie erwarten dich schon, Huy. Soll ich dir die Lampe hierlassen?«
Er nickte, betäubt von einer Furcht, wie er sie seit dem Tag, als ihm sein Vater mitgeteilt hatte, dass er tatsächlich sein Zuhause verlassen müsse, nicht mehr verspürt hatte. Er versuchte, sich die Worte des netten Priesters ins Gedächtnis zu rufen, doch als er sah, wie Itus dunkle Haare über ihre braunen Schultern
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