Der Seher des Pharao
Mann im Schneidersitz, die kräftigen Arme verschränkt, und sah Huy ruhig an. Huy hatte sich keine Gedanken gemacht, was für eine exotische Gestalt er erblicken würde, aber dieser frische, muskulöse Mann, der Gesundheit und Vitalität ausstrahlte und nicht viel älter war als er selbst, verblüffte ihn doch. Der König trug keine Krone, sondern nur einen blau-weiß gestreiften Helm aus gestärktem Leinen mit einer kleinen goldenen Uräus-Schlange über der Stirn. Wadjet, die Herrin der Flammen, hatte ihren stolzen Kobrakopf drohend aufgerichtet, bereit, ihr Gift jedem entgegenzuschleudern, der ihm Böses wollte. Die Brust des Königs war abgesehen von einem breiten Kragen aus Gold-und Lapislazuliplättchen nackt. Der weiße Schurz war sehr schlicht, das Gleiche galt für seine Papyrussandalen. Doch seine starken Finger waren mit vielen Ringen geschmückt, und an dem einem Ohr trug er einen kunstvollen Ohrring: eine Scheibe, an der mehrere Arme hingen, die Anch-Zeichen in der Hand trugen. Huy brauchte ein paar Augenblicke, bis er in ihnen das wenig bekannte Symbol von Aton ausmachte, die Strahlen Res auf dem Weg zur Erde, wo sie beim Auftreffen zu Löwen werden. Die Farben im Gesicht des Pharao waren makellos aufgetragen. Huys Beklommenheit nahm immer mehr ab, und er betrachtete die braunen wachen Augen, das breite, gespaltene Kinn, die hohen Wangenknochen, die mit roter Farbe betont waren. Ein Winkel des mit orangefarbenem Henna gefärbten Mundes hob sich gut gelaunt, und die mit Kajal nachgezogenen Augen verengten sich. »Nun, Seher, was siehst du an?«
»Gesundheit und körperliche Stärke, Majestät«, entfuhr es Huy. Die vier anderen Männer in der Kabine lachten. Einer von ihnen hatte die Hand schützend oder, wie Huy fand, besitzergreifend auf die Rückenlehne des königlichen Stuhls gelegt. Nun trat er vor.
»Bist du wirklich der Prophet und Heiler, dessen Ruhm zu den allwissenden Ohren Seiner Majestät drang?«, fragte er. »Bist du Huy, Sohn des Bauern Hapu? Wie alt bist du? Du erscheinst mir zu unreif, um ein Seher zu sein. Warum trägst du dein Haar so lächerlich lang? Und hast du dir heute Morgen überhaupt die Hände gewaschen?«
»Du kennst meinen Namen«, erwiderte Huy verletzt. »Mir geht dieser Vorteil ab. Wer bist du? Oder meinst du, dass mein Stand so tief unter dir ist, dass ich es nicht wert bin, ihn zu erfahren?«
»Seid ruhig«, sagte der König freundlich. »Huy, das ist Kenamun, mein Busenfreund, der Sohn meiner Amme Amune-mopet und somit mein Pflegebruder. Er meint es nicht böse. Er stellt sich gern zwischen mich und den Rest der Welt.« Diese Freimütigkeit verblüffte Huy. Amenhotep lächelte ihn offen an.
»Aber Majestät, niemand steht zwischen dir und dem Volk«, entgegnete Huy. »Genauso wie keiner zwischen dir und den Göttern steht. Das ist ein Gesetz der Maat.«
»Der Bauer ist also gar nicht so dumm, wie er aussieht«, fauchte Kenamun.
Amenhotep hob die geschmückte Hand. »Sei vorsichtig, mein Bruder, sonst verwandelt dich der Zauberer noch in eine Kröte«, sagte er scherzend. »Huy hat eine ausgezeichnete Ausbildung in der Tempelschule von Iunu bekommen, unter Ramoses weiser Leitung. Überrasche ich dich, Meister Huy? Bin ich nicht Herr von allem, das unter den wohltätigen Strahlen Atons wandelt? Komm näher.«
Huy gehorchte und beobachtete dabei Kenamun aus dem Augenwinkel. Der Mann war eifersüchtig auf alle, die Einfluss auf den König haben könnten, erkannte er. Aber ich möchte keinen Einfluss auf Amenhotep ausüben. Ich möchte ihm nur weissagen und dann nach Hause gehen. Als er herankam, konnte er das Parfüm des Königs riechen: eine merkwürdige Mischung aus Rosmarin und Kassie, süß und scharf, die ihn in der Nase kitzelte. Unaufgefordert fiel er nieder und küsste beide königlichen Füße. Ein Murren erhob sich. Huy spürte kurz die Hand des Pharao auf seinem Kopf. »Nein, nein«, sagte Amenhotep ruhig zu seinem Gefolge, »dies ist ein Ausdruck liebender Unterwerfung. Bist du bereit, mir zu weissagen, Huy? Hast du deine Seher-Schale mitgebracht? Brauchst du Öl oder Feuer?«
»Ich muss nur deine Hand halten, wie du mir durch deinen Haushofmeister gestattet hast«, antwortete Huy. »Eure Majestät ist sich bewusst, dass ich möglicherweise keine Vision habe oder eine Katastrophe sehe?« Hier schnaubte Kenamun.
»Das ist mir bewusst. Und ich möchte nichts anderes, als die Wahrheit von dir hören«, sagte Amenhotep. »Du darfst meine Hand
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