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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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fühlst dich mehr zu Hause. Das ist gut. Nimm dir ein Lendentuch, dann zeige ich dir den Weg. Kannst du anschließend Thutmosis in seine Kammer bringen? Kay und ich haben Unterricht im Ringkampf. Kein Herumstrolchen mehr mit dir!«
    Zu Huys Freude fand der Schwimmunterricht in dem ruhigen See am Platz vor dem Pylon statt. Harnacht führte ihn auf den Sportplatz, wandte sich dann aber nach links und ging entlang der Außenmauer, bis sie zu einem bewachten Tor kamen, das sich auf den mit Bäumen bestandenen Rasen neben dem großen Platz öffnete. Mehrere Ruderboote und ein oder zwei größere Schiffe waren vor den Anlegestufen vertäut. Gläubige überquerten den gepflasterten Platz in beide Richtungen, und Sänftenträger ruhten im Schatten und warteten darauf, dass ihre Auftraggeber ihre Gebete beendeten. Huy hatte gehofft, dass der Schwimmlehrer der Soldat wäre, der auch im Bogenschießen unterrichtete, denn er hätte diesen Exoten gern genauer betrachtet. Doch der Mann, der sich am Teichufer um die nackten Schüler kümmerte, war zwar groß und sportlich, hatte aber nichts Militärisches an sich. Thutmosis war schon da und stand wie üblich mit verschränkten Armen abseits. Huy winkte Harnacht zum Abschied und rannte zu Thutmosis.
    An diesem Abend spielte er im Licht der Lampe wieder einige Runden Senet mit Harnacht, dann holte der ältere Junge seine Wolf-und-Schakal-Figuren heraus und brachte Huy etwas Neues bei. Anschließend beobachtete Huy von seinem Bett aus, wie Harnacht seine Gebete verrichtete. Ich sollte Onkel Ker bitten, mir bei seinem nächsten Besuch eine Chenti-Cheti-Statue mitzubringen, dachte er. Und er kann den Priester im Tempel fragen, welche Gebete ich sagen soll. Ich mag das Loblied auf Re und werde es schon bald mit den anderen singen können. Und ich mag auch das Gebet zu Thot. Die Götter anzurufen, ist schöner, als ich dachte. Harnacht blies die Lampe aus, und sie wünschten sich eine gute Nacht. In der Dunkelheit verspürte Huy die vertraute Welle des Heimwehs, aber diesmal schlug sie nicht über ihm zusammen. Sie umspülte ihn nur, brachte Traurigkeit, aber keine Tränen, sodass er sich auf die Seite drehen und die Augen sogar in freudiger Erwartung des nächsten Tages schließen konnte.
    »Du schnarchst«, ertönte Harnachts Stimme.
    Huy war fast eingeschlafen. Er kicherte. »Nein, tu ich nicht.«
    »Doch. Du hast zu viel gefuttert heute, Ferkelchen.«
    Huy lächelte zufrieden, und der Schlaf bemächtigte sich seiner.
    In den folgenden Monaten machte er rasche Fortschritte im Unterricht. Es erwies sich als Vorteil, dass er mit den Farben, die ihm sein Onkel geschenkt hatte, so oft die Wände in seinem Elternhaus bemalt hatte. Hinzu kamen ein scharfer Blick und eine ruhige Hand sowie eine angeborene Intelligenz, die sich leicht mit den verwirrenden Zeichen tat, die ihm jeden Morgen dargeboten wurden. Viele umfassten sowohl einen Begriff als auch den Bestandteil eines Wortes. Diese Vielseitigkeit machte ihm Spaß. Er arbeitete gern, wurde selten von seinem Lehrer gerügt und bekam nie Schläge.
    Seine Jugendlocke störte ihn immer weniger, im Gegenteil, als Statussymbol erfüllte sie ihn mit Stolz: Er gehörte zu einer Elite. Es war ihm zwar immer noch nicht ganz klar, wie sehr er seinem Onkel zu Dank verpflichtet war, aber er genoss zunehmend das Gefühl von Zugehörigkeit, das dieses Haarbüschel ihm vermittelte. Einmal pro Woche erschien Pabast mit Schüssel und Messer und rasierte Huys Kopf sorgfältig. Dabei herrschte vollständige Stille, denn Huy hatte die verächtliche Bemerkung des Dieners nicht vergessen. Schon bald konnte Huy die Jugendlocke flechten und die Schleife an ihrer Spitze statt am Kopf binden. Beides hatte ihm zu Anfang Schwierigkeiten bereitet. Thutmosis, der nahezu seit seiner Geburt eine Jugendlocke getragen hatte, brachte ihm gewissenhaft bei, das Haar in drei Stränge zu teilen und diese zu flechten. Er gab ihm auch einen verzierten Kupferspiegel, der nicht so viele Beulen aufwies wie der, den Huy von zu Hause mitgebracht hatte.
    Irgendwann hatte Huy auch seine Sachen aus der Kammer von Kay und Harnacht in die von Thutmosis im angrenzenden Hof gebracht. Beim Abschied bedankte sich Huy dafür, dass der ältere Junge so freundlich gewesen war. Doch Harnacht zuckte nur mit den Achseln und boxte leicht gegen Huys Arm. »Du bleibst in der Stadt, Huy«, sagte er. »Wir sehen uns nach wie vor jeden Tag, du wirst also keine Gelegenheit haben, mich zu

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