Der Seher des Pharao
sein Sohn.«
»Das bist du in der Tat«, stimmte Ker zu. »Also gut, Huy, wenn du versprichst, dem Gott die angemessene Ehre zu erweisen, werde ich ihn mitbringen, sobald ich wieder nach Iunu komme. Kannst du die Gebete lesen, wenn sie dir der Priester in unserem Tempel aufschreibt?«
»Noch nicht. Aber mein Lehrer wird mir helfen.«
»Schön. Magst du eigentlich die anderen Jungen hier?«
»Die meisten.« Huy lehnte sich zurück und berichtete seinem Onkel ausführlich von Harnacht, Kay, Thutmosis, dem unangenehmen Sennefer und der Unnahbarkeit der parfümierten, juwelengeschmückten jungen Männer, die ihn so faszinierten.
Ker lachte über seine Beschreibungen. »Ehe du dichs versiehst, bist du auch groß und hübsch. Ich bin sehr stolz auf dich, Huy. Du machst uns allen Ehre.«
Das Bier hatte Huy schläfrig gemacht. Ker zeigte auf die Kabine. »Kriech auf die Kissen dort und ruh dich aus«, bot er an. »Ich muss mich am Nachmittag um meine Geschäfte mit dem Oberpriester kümmern. Ich habe Räucherharz und eine Partie Kupit-Parfüm für die Tänzerinnen dabei. Meine Männer bleiben hier an Bord.« Er beugte sich vor und küsste Huy auf die heiße Stirn. »Mach dir keine Sorgen, der Vorsteher weiß, wo du bist.«
Kers Schiff legte bereits ab, als Huys Mitschüler auf dem Weg zum Schwimmunterricht in Sicht kamen. Huy war enttäuscht. Er hätte es gern gehabt, wenn die anderen Jungen, wie kurz auch immer, an Bord gekommen wären. Aber Ker war unterwegs nach Weset und musste noch eine weite Strecke zurücklegen. Einen Augenblick lang wünschte Huy sich, in die heilige Stadt mitkommen zu können, wo der König auf seinem goldenen Thron saß und die Männer um ihn herum bestimmt alle aussahen wie die Söhne der Adeligen in der Schule. Doch dann rief ihn Thutmosis, und die anderen hüpften mit fröhlichem Geschrei ins Wasser. Huy zog seinen Schurz und das Lendentuch aus. Der Gedanke, zurück nach Hause zu wollen, war ihm nicht einmal gekommen.
3
In den nächsten beiden Monaten wurde der genau festgelegte Rhythmus des Schulalltags für Huy immer selbstverständlicher. Er kannte sich in den zahllosen Räumen und Fluren aus, lange bevor Thutmosis dazu in der Lage war. Huy war nicht versucht, über seinen Zimmergenossen zu bestimmen, wie er das bei Ischat getan hatte. Thutmosis war ihm vielleicht ausgeliefert, wenn es sich um die Gabelung eines Flurs handelte, doch er war ihm in vielen Dingen überlegen, die ihren Klassenkameraden selbstverständlich waren. Huy nahm alles Neue schnell auf und hielt den Mund, wenn über das Familienleben derer gesprochen wurde, die gesellschaftlich über ihm standen. Unter dem kritischen Blick seines Lehrers machte Huy rasche Fortschritte, und er konnte sich mit dem Wissen trösten, dass dieser Junge vielleicht der Sohn eines Gaufürsten war und jener zur Familie eines königlichen Vorstehers gehörte, er selbst aber die raschere Auffassungsgabe und größere Liebe zu den Hieroglyphen besaß, die er allmählich beherrschen lernte.
Gelegentlich fiel der Unterricht aus, weil das Fest eines Gottes gefeiert wurde, und jene Jungen, deren Familien in Iunu wohnten, gingen nach Hause. Huy bekam die Erlaubnis, diese Tage mit Thutmosis in dessen Elternhaus am Fluss zu verbringen. Zunächst schüchterten die Größe und Pracht ihn ein. Thutmosis war der Liebling seiner drei älteren Schwestern, die ihn – zu seinem Ärger – ständig hänselten und verwöhnten. Sie schienen sich zu freuen, noch ein weiteres Kind verhätscheln zu können. Huy verehrte besonders Thutmosis’ Vater, einen Mann, dessen Temperament sehr dem seines Sohnes entsprach: durchaus interessiert an seiner Umgebung, aber auch irgendwie distanziert. Das Haus mit seinem grünen Garten, den kühlen Räumen, dem Heer von Dienern, den von Weiden beschatteten Anlegestufen am Fluss, wo sowohl das Ruderboot wie auch das Schiff einladend schaukelten, erschien dem Jungen von einem Bauernhof im Delta als äußerst wohlhabend. Thutmosis hatte gelacht, als Huy seine Bewunderung zum Ausdruck brachte. »Vater ist nur ein Gaufürst«, hatte er gesagt. »Wir haben ein gutes Polster, aber du solltest erst einmal das Anwesen des Wesirs sehen.« Sie hatten sich nach ihren Schwimmübungen auf den Anlegestufen ausgestreckt.
»Ist Sennefers Zuhause so ähnlich wie deines?«
»Ja, und er verdient es nicht. Seine Mutter verzieht ihn. Von ihr bekommt er, was er will. Sein Vater schimpft darüber immer, aber das ändert nichts. Deshalb wohnt er in
Weitere Kostenlose Bücher