Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
überspielen. Noch nie hatte sie so sehr im Mittelpunkt gestanden, und diese ihr von allen Seiten entgegenkommende Aufmerksamkeit war beunruhigend. Ihr Leben lang war sie bemüht gewesen, von anderen allenfalls wie ein Schatten wahrgenommen zu werden, und es hatte ihr auch nichts ausgemacht, wenn man keine Notiz von ihr nahm.
Doch das war jetzt alles anders. Es lag in ihrer Verantwortung, das zu tun, was Wolf von ihr erbeten hatte, nämlich sich um seine Leute zu sorgen. Aber wie stellte man so etwas an? Izzy sah sich im makellos sauberen Saal um. Jeder hier ging einer Beschäftigung nach und steuerte auf seine eigene Weise zum einwandfreien Zustand der Burg bei. Unsicherheit regte sich bei ihr. Sie war von den MacDonalds zur Dienerin erzogen worden, nicht zur Herrin einer Burg. Wie sollte sie jemals in der Lage sein, ihrem Ehemann bei der anfallenden Arbeit zu helfen?
Der Gedanke hatte kaum Gestalt angenommen, da entdeckte sie auf einmal Brahan am Fuße der Treppe. Kaum hatte er sie bemerkt, kam er auch schon auf sie zu.
Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. Er würde ihr weitere Fragen zum Anhänger an ihrer Kette stellen wollen, aber wie sollte sie mit ihm über etwas reden, das sie selbst nicht verstand? Auf der Suche nach einem Fluchtweg schaute sie sich hastig um, und in diesem Moment sah sie ihn: Walter. Er saß allein an einem Tisch am anderen Ende des Saals. Bei seinem Anblick richteten sich die feinen Härchen auf ihren Armen auf. Ein Zeichen? Würde sie so Wolf helfen können? Seit ihrem ersten Zusammentreffen mit Walter an Bord der Ategenos empfand sie instinktiv, dass er sich in ihrer Gegenwart nicht wohlfühlte. Er konnte sie nicht leiden, allerdings war ihr der Grund dafür ein Rätsel.
Doch Wolf hatte sie ausdrücklich darum gebeten, Walter zu helfen, damit er sich in seinem neuen Zuhause besser zurechtfand. Sie wusste, er hatte im Kerker gesessen, und das war eine Erfahrung, mit der sie sich bestens auskannte.
Sie blickte über die Schulter. Brahan war fast bei ihr angelangt. Vielleicht würde sie Walter ja in irgendeiner Weise behilflich sein, selbst wenn es nur eine Kleinigkeit war. Also begab sie sich hastig zu seinem Tisch. Ob er ihr Angebot annehmen würde oder nicht, war nicht so wichtig. Auf jeden Fall war sie so wenigstens für den Moment einer Unterhaltung mit Brahan aus dem Weg gegangen.
»Darf ich mich zu Euch setzen?«, fragte sie ihn ruhig und bewusst beiläufig.
Walter sah sie über den Tisch hinweg an. Ihr entging nicht der ablehnende Blick, den er ihr dabei zuwarf. »Ich vermute, ich kann Euch davon nicht abhalten, nachdem Ihr nun die Herrin dieser Burg seid.«
Während sie Platz nahm, schaute sie an Walter vorbei zu der Stelle, an der sich Brahan keine zwanzig Schritte von ihnen entfernt gegen die Wand lehnte. Seine lässige Haltung verriet ihr, dass er notfalls den ganzen Tag darauf warten konnte, endlich mit ihr zu sprechen, doch sein Gesichtsausdruck verriet, wie eilig er es in Wahrheit hatte.
Izzy richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Walter. »Heute ist sehr viel im Saal los«, versuchte sie eine Unterhaltung in Gang zu bekommen.
»Ja, das ist wahr«, gab er ernst zurück. Sein Atem roch nach Ale.
Das waren nicht die besten Umstände, um mit dem Mann zu reden, doch sie wollte diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. »Können wir uns unterhalten, Walter?«
»Ich weiß nicht, ob es meinem Bruder gefallen wird, wenn ich mit Euch rede.«
»Wieso?«
»Weil ich ihm schon genug Ärger bereitet habe.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch, und sein halbvoller Bierkrug machte einen kleinen Satz. Alle drehten sich daraufhin zu ihnen um. Krieger und Diener unterbrachen ihre Tätigkeit, um zu sehen, was da los war. Brahan verließ seinen Platz an der Wand und näherte sich dem Tisch.
Izzy zwang sich zur Ruhe. Von keinem dieser Männer würde sie sich unterkriegen lassen. Sie hatte sich bereits früher mit wütenden und brutalen Männern herumschlagen müssen. Notfalls würde sie auch gleichzeitig mit Brahans Fragen und Walters Wut zurechtkommen. »Ich wollte Euch nicht stören, Walter«, erklärte sie beschwichtigend. »Ich fand nur, dass Ihr so ausseht, als könntet Ihr ein wenig Unterhaltung gebrauchen.«
»Mich beunruhigt die Tatsache, dass Ihr in dieser Burg lebt«, sagte Walter plötzlich und hob seinen Krug an die Lippen, um einen großen Schluck zu trinken. »Und dass Wolf Euch geheiratet hat, beunruhigt mich noch mehr.« Er stellte den Krug ab,
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