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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Essex oder Mr Bradburn, das Verschwinden von Captain Harwell inszeniert zu haben.«
    »Sie sind sarkastisch«, warf Mr Quin ein.
    Mr Sattersway sah ihn scharf an. »Aber Sie sind sicher einverstanden, dass…«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Mr Quin. »Diese Vorstellung wäre absurd. Was kommt jetzt?«
    »Versetzen wir uns doch in jenen Schreckenstag zurück. Nehmen wir an, das Verschwinden habe bereits stattgefunden – heute Morgen.«
    »Nein, nein«, widersprach Mr Quin lächelnd. »Da wir ja wenigstens in unserer Fantasie Einfluss auf die Zeit haben, wollen wir sie weiterdrehen. Nehmen wir an, Harwells Verschwinden habe vor hundert Jahren stattgefunden. Und wir befinden uns im einundzwanzigsten Jahrhundert und blicken zurück.«
    »Sie sind ein seltsamer Mensch«, sagte Mr Sattersway langsam. »Sie glauben an die Vergangenheit, nicht an die Gegenwart. Warum?«
    »Gerade eben verwendeten Sie das Wort Atmosphäre. Es liegt keine Atmosphäre in der Gegenwart.«
    »Vielleicht stimmt das«, gab Mr Sattersway nachdenklich zu. »Ja, es stimmt. Die Gegenwart ist manchmal – so beschränkt.«
    »Eine treffende Bezeichnung«, meinte Mr Quin.
    Mr Sattersway machte eine hübsche, kleine Verbeugung. »Sehr freundlich!«
    »Also, nehmen wir – nicht das gegenwärtige Jahr, das wäre zu schwierig. Sagen wir – letztes Jahr«, fuhr sein Gegenüber fort. »Fassen Sie es doch zusammen, da Sie immer die richtigen Worte finden.«
    Mr Sattersway dachte eine Minute nach. Er wollte seinen Ruf nicht aufs Spiel setzen.
    »Vor hundert Jahren war die Zeit von Puder und Schönheitspflästerchen. Sagen wir, heute ist das Zeitalter der Kreuzworträtsel und Fassadenkletterer.«
    »Fabelhaft«, lobte Mr Quin.
    »Über Kreuzworträtsel weiß ich allerdings nicht gut Bescheid«, gestand Mr Sattersway. »Aber die Fassadenkletterer haben auf dem Kontinent viel Aufsehen erregt. Erinnern Sie sich an die berühmte Serie von Einbrüchen in französische Schlösser? Angeblich war es eine ganze Bande. Mit den erstaunlichsten Kunststücken verschafften sie sich Zugang. Nach der einen Theorie soll es eine Akrobatentruppe gewesen sein – die Clondinis. Ich sah einmal eine Vorstellung von ihnen – wirklich meisterhaft! Mutter, Sohn und Tochter. Sie verschwanden auf geheimnisvolle Art von der Bühne. Aber wir weichen da eigentlich vom Thema ab.«
    »Nicht sehr weit«, entgegnete Mr Quin. »Nur bis über den Kanal.«
    »Wo die französischen Damen nur die Zehenspitzen ins Wasser tauchen, wie unser Wirt behauptet«, sagte Mr Sattersway lächelnd.
    Es entstand eine bedeutungsvolle Pause.
    »Warum verschwand er?«, rief Mr Sattersway. »Warum? Warum? Es ist nicht zu fassen! Wie ein Zauberkunststück!«
    »Ja, wie ein Zauberkunststück«, erwiderte Mr Quin. »Das trifft die Sache genau. Schon wieder Atmosphäre, sehen Sie! Und worin liegt das Wesentliche eines Zaubertricks?«
    »Je geschickter die Hand, umso täuschender für das Auge«, sagte Mr Sattersway sofort.
    »Das ist alles, nicht wahr? Das Auge wird getäuscht. Manchmal mit einem Trick, manchmal – mit anderen Mitteln. Die Zauberer haben viele Ablenkungsmanöver: Einen Pistolenschuss oder das Wedeln eines roten Taschentuchs, und etwas erscheint wichtig, das es in Wirklichkeit nicht ist. Das Auge wird vom Hauptgeschehen durch eine spektakuläre Handlung abgelenkt, die gar keine Bedeutung hat – gar keine.«
    Mr Sattersway beugte sich mit leuchtenden Augen vor. »Da ist etwas dran! Das ist eine Idee!« Und leise fuhr er fort: »Der Pistolenschuss des Zauberers! Was war der Pistolenschuss bei dem Zauberkunststück, von dem wir hier reden? Was ist das ablenkende Moment, das die Fantasie beschäftigt?«
    Plötzlich hielt er den Atem an. »Sein Verschwinden!«, rief Mr Sattersway. »Lässt man es weg, bleibt nichts mehr.«
    »Wieso nicht? Nehmen wir an, die Dinge nahmen denselben Verlauf, auch ohne dieses dramatische Verschwinden.«
    »Sie meinen – wenn Miss Le Couteau trotzdem As h ley Grange an Mr Bradburn verkauft hätte und wegfuhr – ohne Grund?«
    »Ja.«
    »Ja, warum nicht? Es hätte vermutlich Staub aufgewirbelt. Wahrscheinlich hätte man sich viel mehr für die wertvolle Einrichtung interessiert – ach, warten Sie!«
    Er schwieg einen Moment und brach dann los: »Sie haben Recht, es liegt zu viel Betonung auf Captain Harwell. Und folglich bleibt sie im Hintergrund: Miss Le Couteau! Jeder fragt sich: Wer war Captain Harwell? Wo kommt er her? Da sie die Benachteiligte ist, stellt niemand

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