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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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lernen, Lady Charnley«, sagte Aspasia Glen. Ihre Stimme hatte plötzlich einen leichten amerikanischen Akzent. Mr Sattersway wurde an einen ihrer Bühnenauftritte erinnert.
    »Oberst Monckton kennen Sie«, fuhr Mr Sattersway fort.
    »Das hier ist Mr Bristow.«
    Er merkte plötzlich, dass sich ihre Wangen leicht röteten.
    »Mr Bristow und ich kennen uns ebenfalls«, sagte sie und lächelte leise. »Von einer Bahnfahrt.«
    »Und Mr Harley Quin.«
    Er beobachtete sie gespannt, aber diesmal deutete nichts darauf hin, dass sie ihr Gegenüber erkannte. Er schob ihr einen Sessel zurecht, und nachdem er sich ebenfalls gesetzt hatte, räusperte er sich und war ein wenig aufgeregt. »Ich… das hier ist wirklich eine ungewöhnliche Versammlung. Ihr Mittelpunkt ist das Bild. Ich glaube, wenn wir wollten, könnten wir jetzt die – die Dinge aufklären.«
    »Wollen Sie etwa eine Séance abhalten, Sattersway?«, fragte Monckton. »Sie sind heute Abend wirklich etwas merkwürdig.«
    »Nein«, sagte Mr Sattersway, »eine Séance eigentlich nicht. Aber mein Freund Quin glaubt – und ich stimme darin überein –, dass man durch einen Rückblick in die Vergangenheit die Dinge so sehen kann, wie sie wirklich waren, und nicht so, wie sie schienen.«
    »In die Vergangenheit?«, fragte Lady Charnley.
    »Ich spreche vom Selbstmord Ihres Mannes, Alix. Ich weiß, dass es Sie schmerzt…«
    »Nein«, sagte Alix Charnley, »es schmerzt nicht mehr. Nichts schmerzt mich mehr.«
    Mr Sattersway musste an Bristows Worte denken:
    »Sie war so unwirklich, verstehen Sie. Schattenhaft. Wie diese Leute, die in den gälischen Märchen aus den Hügeln herauskommen.«
    »Schattenhaft« hatte er sie genannt. Das passte ganz genau. Ein Schatten, das Abbild einer anderen. Wo aber war dann die reale Alix? Und sein Verstand antwortete sofort: In der Vergangenheit. Durch vierzehn Jahre von uns getrennt.
    »Meine Liebe«, sagte er, »Sie erschrecken mich. Sie ähneln der weinenden Frau mit dem silbernen Krug.«
    Irgendetwas zersplitterte. Die Kaffeetasse, die auf dem Tisch neben Aspasia Glen gestanden hatte, lag in Scherben auf dem Fußboden. Mit einer Handbewegung schnitt Mr Sattersway ihre Entschuldigung ab. Er überlegte: Wir kommen näher, wir kommen mit jeder Minute näher – aber wem näher?
    »Wandern wir mit unseren Gedanken zu jenem Abend vor vierzehn Jahren zurück«, sagte er. »Lord Charnley verübte Selbstmord. Aus welchem Grund? Niemand weiß es.«
    Lady Charnley wurde unruhig.
    »Lady Charnley weiß es«, sagte Frank Bristow unvermittelt.
    »Unsinn«, sagte Monckton, verstummte dann jedoch und sah sie mit gerunzelter Stirn neugierig an.
    Sie blickte zu dem Künstler hinüber. Es war, als würde er die Worte aus ihr herauslocken. Sie nickte langsam, und ihre Stimme war wie eine Schneeflocke: kalt und weich.
    »Ja, Sie haben Recht. Ich weiß es wirklich. Deswegen kann ich auch, solange ich lebe, nie mehr nach Charnley zurück. Deswegen erklärte ich auch, dass es unmöglich sei, als Dick, mein Sohn, wollte, dass wir wieder dort wohnen sollten.«
    »Wollen Sie uns den Grund verraten, Lady Charnley?«, sagte Mr Quin.
    Sie blickte ihn an. Dann begann sie ruhig.
    »Wenn Sie wollen, will ich es Ihnen erzählen. Heute scheint alles nicht mehr so wichtig zu sein. Ich fand unter seinen Papieren einen Brief, den ich dann vernichtete.«
    »Was für einen Brief?«, fragte Mr Quin.
    »Den Brief des Mädchens. Sie war als Gouvernante bei den Merriams. Er hatte – er hatte mit ihr ein Verhältnis, vor unserer Hochzeit, als wir bereits verlobt waren. Und sie war schwanger geworden. Das hatte sie ihm geschrieben, und dass sie mir alles erzählen wollte. Und da hat er sich erschossen.« Müde sah sie die anderen an. Sie wirkte verträumt wie ein Kind, das eben eine Lektion aufgesagt hat, die es nur allzugut kennt.
    Monckton schnaubte durch die Nase.
    »Mein Gott«, sagte er, »so also war es! Na ja, das erklärt allerdings alles.«
    »Wirklich?«, sagte Mr Sattersway. »Eines erklärt es immerhin nicht. Es erklärt nicht, warum Mr Bristow dieses Bild gemalt hat.«
    »Was soll das heißen?«
    Mr Sattersway blickte Mr Quin an, als suche er bei ihm Unterstützung, und offenbar erhielt er sie, denn er fuhr fort: »Ja, ich weiß selbst, dass es in Ihren Ohren verrückt klingt, aber das Bild ist der Brennpunkt der ganzen Sache. Wegen dieses Bildes sind wir alle heute Abend hierher gekommen. Das Bild musste geradezu gemalt werden – das ist es, was ich sagen

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