Der Semmelkoenig
– Maus erkannte, dass dieser oft für Eintragungen ins goldene Buch der Stadt benutzt wurde – gespielt, bis aus Versehen die Tinte spritzte und einen hässlichen Fleck auf der Schreibtischunterlage hinterließ.
»Hmhm«, signalisierte der Bürgermeister, als Maus am Ende angelangt war. »Das sieht ja doch gar nicht so schlecht aus? Zumindest besser als heute Nachmittag, wo man mich aus einer Besprechung holen musste …«,
Er lachte über seinen eigenen Scherz, denn jeder kannte die Tradition am vorletzten Tag des Frühlingsfestes. Da traf sich der Stadtrat in der »Schafsresi« zum Frühschoppen, der gerne bis zum Abend ausgedehnt wurde. Er blickte auf seine Armbanduhr und schien nachzurechnen, ob es sich noch lohnen würde, dort wieder hinzufahren. Zwei Stunden blieben ihm ja noch und er hatte jetzt auch hochbrisante Neuigkeiten zu berichten. Schnell stand er daher auf, ging um den Schreibtisch herum, nötigte Maus, ebenfalls aufzustehen, zog ihn zur Tür und klopfte ihm auf die Schulter
»Maus, ich sehe schon, der delikate Fall unseres armen Sepps ist bei Ihnen in guten Händen. Ich denke – und verzeihen Sie mir nun meine Ehrlichkeit, denn so bin ich nun mal eben und meine Wähler wissen das zu schätzen und Sie hoffentlich auch – also ich denke, wir brauchen die Spezialisten aus München nicht mehr. Ja, ja, vor ein paar Stunden war ich nahe dran, meinen alten Spezi beim Ministerium anzurufen, weil ich so gar nichts von Ihnen gehört habe. Ich meine, Ihre zauberhafte Assistentin hat mich zwar zu beruhigen versucht – sie ist ein Engel, eine Perle, Sie wissen das ja wohl zu schätzen – aber immerhin war ja ein wichtiges Mitglied unserer Gemeinde verschwunden. Ich musste mich bald entscheiden, habe aber immer gewusst, dass Sie das Ruder noch rumreißen würden. Es hätte mir leidgetan, wenn wir tatsächlich Verstärkung aus der Landeshauptstadt gebraucht hätten. Nicht zu vergessen, dass die Leute dort vor lauter Langeweile nur so mit den Hufen scharren und sich daher auch mit vielleicht unnötiger Hast in die Aufgabe gestürzt hätten, was vermutlich eher schlecht als recht gewesen wäre. Unter uns, ich hab gehört, dass trotz Großstadt dort fast nie etwas passiert, sodass sie die Kollegen mittlerweile auf die Radfahrer angesetzt haben. Ich denke, Sie pflichten mir bei, wenn ich jetzt aus vollem Herzen sage: ›Ich will hier keine frustrierten Verkehrspolizisten, denen das nötige Feingefühl für unsere Gegend fehlt. Ich will die nicht, denn ich will Sie, Maus!‹«
Mit Erleichterung sah Maus, dass der Bürgermeister endlich Luft holte.
»Vor allem jetzt, nach dieser schockierenden Mitteilung, dass der Sohn vom Sepp ein brutaler Mädchenmörder ist, möchte ich Ihnen in Hinblick auf Ihre weiteren Ermittlungen und Ihren Fortschritten nicht mehr im Wege stehen. Ihnen sozusagen quasi freie Bahn lassen?«
Noch einmal holte er tief Luft und setzte zum Endspurt seiner Rede an.
»Deshalb haben Sie meine vollste Unterstützung, mein vollstes Vertrauen basierend auf meiner vollsten Zufriedenheit mit Ihren Methoden.«
Er hatte jetzt sein schönstes Beerdigungsgesicht aufgesetzt, schloss kurz und andächtig die Augen, schüttelte langsam den Kopf und fuhr ernst fort.
»Maus, lange Rede, kurzer Sinn: Schnappen Sie sich die Kerle, retten Sie Sepp Möller, heben Sie das Schlangennest aus. Viel Glück und ich danke Ihnen jetzt schon!«
Ein fester Händedruck und der Kommissar war entlassen. Da er sein Handy immer noch nicht aufgeladen hatte – vielleicht war Steffis Vorschlag, sich mal endlich ein neues zu gönnen, gar nicht so verkehrt – schlug Maus den kurzen Fußweg zum Revier ein, um dort vor Ort den neusten Stand der Ermittlungen zu erfahren und seine Frau anzurufen, damit sie nicht auf ihn wartete. Eigentlich war Letzteres nicht nötig, denn Inga hatte es schon längst aufgegeben, mit ihm gemeinsam zu Abend zu essen, aber es war eine Geste des Respekts und der Zuneigung, sie trotzdem zu informieren.
Maus seufzte. Er hatte zwar einen Erfolg erzielt, aber der schwierigste Teil lag noch vor ihm: Er musste Möller senior finden. Während des Gehens versuchte er sich wieder einmal in die Psyche seiner Täterin hineinzuversetzen. Angst und Stress mussten mittlerweile die Oberhand gewonnen haben. Sie hatte ungeplant Anni erschießen müssen, weil diese das Handy gefunden und damit eventuell einen Beweis in Händen gehalten hatte. Arme, dumme Anni! Wer konnte gesehen haben, was sie da gefunden hatte?
Weitere Kostenlose Bücher