Der Semmelkoenig
Parkplatz verabredet. Das Treffen mit dem Erpresser sollte um drei sein, sodass uns noch genügend Zeit blieb, Vorkehrungen zu treffen.«
Ein Nachtfalter löste sich von der Wand und flatterte um die grelle Neonröhre an der Zimmerdecke. Maus notierte die Uhrzeiten.
121
»Hallo, hallo, is bei Ihnen alles in Ordnung? Hallo?«
Ganz aus der Ferne hörte Krautschneider den Ruf, der von heftigem Klopfen – vermutlich gegen eine Fensterscheibe – begleitet wurde. Ihm war schlecht, die Zunge pappte am Gaumen, er wollte jetzt noch nicht antworten. Das Knarzen der sich öffnenden Tür drang an sein Ohr. Dann wurde er an der Schulter gepackt und für seinen Geschmack viel zu heftig geschüttelt. Lass mich in Ruhe, hallte es in seinem Kopf, ich will jetzt nicht reden! Leider hatte Wolfgang kein Erbarmen. Das lag vermutlich hauptsächlich daran, dass er keine Gedanken lesen konnte. Vorsichtig drückte er den Airbag zur Seite und sah besorgt in das befreite Gesicht.
»Es lebt noch!«, versuchte er mit einem Scherz seine Erleichterung zu kaschieren. »Hat vermutlich nur einen Riesenschock! Ganz glasige Augen sind das. Hoffentlich hat er keine ekelhaften inneren Blutungen! Obwohl, dafür war der Aufprall nicht hart genug und der Airbag hat ihn ganz gut abgefangen … Wie sieht’s auf deiner Seite aus?«
Die Frage war unnötig, denn an Erika vorbei hatte sich bereits Claudia Hubschmied aus den Trümmern ihres kleinen Autos geschält und angefangen herumzubrüllen.
»Du bläde Henne, du! Du hast uns fast umbracht! Du …«, ihr fehlten offenbar die nötigen Worte, um ihrer Empörung den nötigen Ausdruck zu verleihen. Stattdessen ballte sie in ohnmächtiger Wut die Fäuste und fing an, auf Erika einzuboxen. Schnell ließ Wolfgang Krautschneider los, der dankbar in seinen Sitz zurücksackte, rannte um den Wagen, umklammerte von hinten seine Cousine und zerrte sie von Erika weg, was sie vor einer eventuellen Untersuchung wegen unnötig brutaler Polizeigewalt bewahrte.
»Claudi, Claudi, hör auf! Hör sofort auf!«, rief er und hielt sie noch fester.
Dass damit aber ihr persönlicher Albtraum, den sie wenige Stunden zuvor mit gerade dieser Art der Umklammerung durch Georg durchlebt hatte, wieder hochkam, konnte er natürlich nicht wissen. Erstaunt fühlte er nur, wie der Körper seiner Cousine augenblicklich erschlaffte, zusammensackte, ihn fast mitriss, denn sie war plötzlich schrecklich schwer geworden. Was Wolfgang aber noch viel mehr entsetzte, war ihr heftiges Zittern und herzzerreißendes Schluchzen. Sofort ließ er sie los und starrte auf das kleine Häufchen Elend zu seinen Füßen. Das war nicht mehr die starke, selbstbewusste Claudia Hubschmied.
»Des is der Schock!«, kommentierte Erika mit teilnahmsloser Stimme. »Die is kurz vorm Durchdrehen.«
Wolfgangs weiches Herz zog sich zusammen. Er konnte Frauen nicht weinen sehen. Viel schöner war es, wenn sie lachten oder vor Lust stöhnten. Betroffen merkte er, wie sich Tränen in seine Augen stahlen.
»Hört sofort auf zu flennen! Alle beide!«
Die Stimme der Vernunft, Erikas Stimme, bewirkte zumindest bei Claudia Hubschmied eine rasche Besserung. Schniefend wischte sie mit dem Ärmel über ihr nasses Gesicht. Sie musste sich schleunigst wieder unter Kontrolle bringen, ihre Autorität war jetzt schon durch diesen Nervenzusammenbruch in Gefahr geraten, drohte sogar ganz verloren zu gehen, aber weitere Schwächen gegenüber diesen Zivilisten zu zeigen, wäre eine Katastrophe gewesen. Obwohl ihr Körper immer noch zitterte und nach einer Auszeit sowie seelischem Beistand verlangte, gewann Claudia Hubschmieds starker Wille doch wieder die Oberhand. Ob das nun so eine gute Methode war, mit einem Trauma umzugehen, interessierte sie nicht. Sie wollte sich nicht kleinkriegen lassen, nie mehr wieder diese Schwäche fühlen, leuchtend und stark wie Phönix aus der Asche emporsteigen und vor allem alles vergessen, was ihr Angst machte. Mühsam zog sie sich daher an der offenen Autotür hoch, klopfte ihre Jeans ab und blaffte wütend:
»Ihr Sonntagsfahrer, ihr damischen! Ihr kommt jetzt sofort mit aufs Revier. Da wird ’ne Aussag gemacht und ein Alkoholtest.«
Ihr Blick blieb an dem emotional aufgelösten Wolfgang hängen und sie bekam gleich ein schlechtes Gewissen.
»Mei, Wolfi, jetzt kimm scho! Du musst auch ein bissel mich verstehn. Schau doch mal mein Auto. Des is nur noch Schrott. Und jetzt mein Kolleg. Der is ungefähr im gleichen Zustand. Für den müss mer
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