Der Semmelkoenig
aber keine Kraft mehr, sodass sie sich auf diese ungewohnte Geborgenheit einließ und sich tatsächlich langsam beruhigte. In dieser Stellung fand Frank die beiden Eltern, als er fünf Minuten später wieder bei ihnen war.
»Na, da haben wir ja noch mal großes Glück gehabt«, bemerkte er. »Die Kleine hatte zwar ’ne ganze Menge von den Pillen intus, aber dann wurde ihr schlecht und sie hat sich übergeben. Der Körper hat sich quasi selbst geschützt. Das war gut, so mussten wir ihr nicht den Magen auspumpen. Keine angenehme Methode, sag ich Ihnen. Trotzdem nehmen wir sie zur Beobachtung mit. Was mir ein bisschen Sorgen macht, ist, dass sie immer vor sich hinmurmelt, Kevin solle sie doch endlich anzünden. Hm, is bei einer Fünfjährigen nicht so normal, was? Hier sind übrigens die restlichen Streichhölzer. An Ihrer Stelle würd ich schleunigst mit einer Therapie beginnen. Am besten für alle Kinder und wenn ich Sie mir so anschaue, könnte ich mir glatt eine Familiensitzung vorstellen.«
»Es is alles meine Schuld!«, weinte Sybille, immer noch das Gesicht gegen Andreas Brust gepresst.
»Ach Unsinn!«, tröstete er sie und ignorierte, dass sein Hemd durch ihre Tränen langsam feucht wurde. »Du hast doch den Doktor gehört. Wir hängen alle mit drin. Aber ich glaub, es ist noch nicht alles verloren. Das war sozusagen ein Warnschuss. Wir müssen endlich damit aufhören, uns gegenseitig zu bekriegen und uns das Leben schwer zu machen. Weißt, wenn wir uns vielleicht mal zusammenraufen und am gleichen Strang ziehen würden, dann könnten wir es vielleicht doch noch schaffen. Was denkst du?«
Sie schniefte nur. Andreas hoffte, dass man das als Zustimmung werten konnte.
»Das is mal ’ne gute Einsicht!«, lobte Doktor Frank und ging einen Schritt zur Seite, damit die Sanitäter eine kalkweiße Jennifer zum Heck tragen konnten. »Wenn Sie da jetzt weitermachen, kriegen Sie des auch wieder hin. Und jetzt nehm ich mal an, dass Sie bei Ihrer Tochter sein wollen, Frau Möller-Spatz? Ich hätt da noch ein Plätzchen im Krankenwagen frei.«
Sybille löste sich aus der Umarmung und sah Andreas ängstlich an, aber das war vollkommen unbegründet, denn er nickte ihr so liebevoll zu, dass es ihr ganz warm ums Herz wurde.
»Geh nur, Billchen. Ich kümmer mich um Kevin und komm dann nach.«
Ein winzig kleines Lächeln trat auf ihre Lippen, dann drehte sie sich um, lief zu der Transportliege und ergriff Jennifers kleine, kalte Hand.
114
»Herr Kommissar, für Sie!«
Steffi war zu bemitleiden. Zwar hatte sie sich bereit erklärt, Überstunden zu machen, doch dass diese hauptsächlich damit erfüllt waren, die umgeleiteten Telefonate von Maus in Empfang zu nehmen, war schon fast nicht mehr zuträglich. Dennoch fügte sie sich wie immer mit einer Professionalität und einem Gleichmut, dass es beinahe unheimlich war. Kommissar Maus, der gerade Anweisungen zu Straßensperren durchgab, winkte etwas genervt ab, nahm aber dann doch den Telefonhörer, denn Steffis Blick signalisierte höchste Dringlichkeitsstufe.
»Hier Maus! Ja, ja … Na wunderbar. Ich komme sofort!«
Schnell nahm er seinen Mantel, der an einem Garderobenhaken über dem auf der Bank vor Erschöpfung eingeschlafenen Oskar hing, und zog ihn rasch an.
»Wo will er denn hin?«, fragte Schnabelhuber neugierig.
»Ins Krankenhaus. Der Detektiv is wieder bei Bewusstsein«, flüsterte Steffi ihm aufgeregt zu.
»Na, super! Vielleicht kann der uns ja sagen, wo der Möller steckt.«
»Hoffen wir’s«, erwiderte Steffi, griff nach ihrer Handtasche und rief: »Warten Sie, Herr Kommissar. Ich komm mit!«
115
»Und jetzt noch mal anlassen und langsam Gas geben!«, rief der alte Mann. Wolfgang tat sein Bestes. Der Motor heulte auf.
»Nicht so viel, du Depp! Das tut dem Schnuffel doch weh!«, schimpfte Erika und blickte böse um die geöffnete Motorhaube herum.
Wolfgang gab ihr sein schönstes Lächeln, aber anscheinend war der Manta ein wirklich ernstzunehmender Konkurrent, denn Erika schien ihm nicht verzeihen zu wollen.
»Blöde Karre!«, murmelte er daher zwischen zusammengebissenen Zähnen, denn das Lächeln war ihm eingefroren.
»Hm, die gute Neuigkeit ist …«, der alte Mann griff nach seinem Stock, den er gegen das Auto gelehnt hatte, »… es war kein Marder.«
»Und die schlechte?«, fragte Erika etwas konsterniert, während sie beobachten musste, wie er jetzt seinen Dackel, der die ganze Zeit apathisch den Rinnstein angeschaut hatte, mit einem Ruck
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