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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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rechts zu einer Fensternische hin.
    »Was meinen Sie?«
    Krautschneider verstand nichts, hatte aber keine Zeit zu verlieren und riss ihr darum mit einem Ruck das Klebeband vom Mund. Sie schrie auf.
    »Psssch! Nicht so laut!«, seine Nerven waren angespannt. Seine Instinkte sagten ihm, dass die Gefahr in unmittelbarer Nähe lauerte. Trotzdem vergaß er seine gute Kinderstube nicht und fügte leise hinzu. »Tut mir leid!«
    »Sie Idi…«, sie hatte sich gleich unter Kontrolle, wobei man ihr eine Beschimpfung in Anbetracht der hässlichen roten Streifen auf Ober- und Unterlippe nicht verdenken konnte. Es tat bestimmt höllisch weh. Krautschneider hob fragend eine Augenbraue.
    »Wer sind Sie? Und wie ist das passiert?«
    »Der Schlüssel!«
    Es schien ihr offensichtlich unangebracht, ihm zu antworten. Stattdessen nickte sie wieder in Richtung Fenster.
    »Der Schlüssel muss dort liegen. Schnell befreien Sie mich, bevor diese Wahnsinnige wieder kommt und uns alle umbringt.«
    Jetzt liefen Tränen über ihre Wangen und Krautschneider ging rasch zum Fenster.
    »Haben Sie ihn?«, fragte sie schluchzend.
    »Ja, hier ist einer. Mal sehn, ob der passt.«
    Ein leises »Klick« ließ alle Zweifel verschwinden. Dankbar rieb sich die Fremde die Handgelenke. Krautschneider betrachtete sie neugierig. Eine Frau Anfang vierzig, Pagenfrisur, was ihr etwas Französisches verlieh, mittelgroß und für seinen Geschmack eindeutig zu dünn. Auch dieser leicht verhärmte Zug um ihren Mund störte ein wenig in ihrem eigentlich attraktiven Gesicht.
    »Darf ich mal raten?«, versuchte er einen Weg, sich seine Fragen doch noch beantworten zu lassen. »Sie sind gefesselt und geknebelt, haben Angst vor einer wahnsinnigen Mörderin, dann sind Sie vermutlich Frau Klöter.«
    »Ja, ja genau.«
    Sie sah sich nervös um, was ansteckend auf ihn wirkte und seinem ohnehin schon unguten, angespannten Gefühl noch mehr Nachschub gab.
    »Wo ist sie?«, fragte er, während sich seine Finger fester um seine Waffe schlossen.
    »Ich weiß nicht! Sie … äh … Sie hat mich gefesselt, nachdem sie mich gezwungen hat, hierherzufahren. Ich steh schon Stunden hier und war am Verzweifeln. Ich glaube, in der Zwischenzeit muss etwas ganz Schreckliches passiert sein …!«
    Sie zitterte und Krautschneider verstand es nur zu gut, hätte am liebsten mitgemacht, beherrschte sich aber, indem er die Gedanken an den Toten schnell aus dem Kopf verbannte. Schließlich war er von der Polizei und durfte sich keinen unangebrachten Gefühlen hingeben, wenn Gefahr im Verzug war. Frau Klöter war eine nicht vorgesehene Unterbrechung seiner Mission, er musste jetzt improvisieren, sie aus der Schusslinie bringen. Fast grob packte er daher ihren Oberarm und zog sie mit sich.
    »Kommen Sie! Wir müssen hier weg! Sofort!«, und auf ihren ängstlichen Blick hin fügte er rasch hinzu: »Keine Sorge! Ich habe unten meine Männer postiert. Sie sind gleich in Sicherheit!«

161
    Um wieder warm zu werden, ging Wolfgang alle Frauen durch, mit denen er in letzter Zeit genussvolle Stunden verbracht hatte. Vielleicht sollte er Sterne verteilen? Grinsend, so eine kurzweilige und durchaus kreative Abwechslung gefunden zu haben, überlegte er, was die Höchstzahl sein sollte und für welche Kategorien er sie vergeben würde. Ein Blick in den Himmel diente ihm als Spickzettel. Dort funkelte es so schön. Seufzend schlug er den Kragen seiner Jacke hoch, schlang die Arme um den Oberkörper und begann wieder auf dem Platz hin und her zu gehen.
    Es wurde immer kälter und abgesehen von der jetzt sternenklaren Nacht gab es hier nichts Schönes. Drohende Schatten von einigen Bauschutthügeln, gespenstisch aufragende Skelette der Kräne, das Haus, das dunkel und böse auf ihn herabblickte, Rohre und vereinzelte vergessene Werkzeuge, die bösartige Stolperfallen waren, gaben ihm berechtigten Anlass, sich noch verstoßener und verlorener zu fühlen. Wie lange musste er hier noch ausharren?
    Ein langgezogenes, heulendes »Huh-Huhuhu-Huuuh« ertönte so plötzlich, dass er erschrocken zusammenfuhr. Schnell blickte er hoch. Da! Auf einem der Kräne saß ein dunkler, kleiner Schatten. Das Käuzchen. Wolfgang, der eigentlich ein großer Vogelliebhaber und engagiertes Mitglied in Inga Maus Gruppe »Unsere gefiederten Freunde« war, bekam eine Gänsehaut. Wenn es stimmte, dass diese Tiere Boten des Todes waren, dann würde tatsächlich heute noch etwas passieren!

162
    Doktor Frank stolperte zum dritten Mal über eine

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