Der Semmelkoenig
folgten.
71
»Der Herr Andreas Spatz ist auf dem Platz!«, war die höflich reservierte Auskunft am Empfang, nachdem Claudia sich nicht ganz so freundlich nach ihrem zukünftigen Schwager erkundigt hatte.
»Fein, und Sie sind sich sicher, dass keiner der Herren Möller heute schon hier war?«
Claudia war jetzt so angespannt, dass sie am liebsten die junge Frau an den Schultern gepackt und aus ihrem Dirndl geschüttelt hätte. Die dazu passenden Kampfschreie, wie: »Spuck’s endlich aus! Muss man dir alles aus der Nase ziehen? Du deckst die ganze verkommene Sippe! Du hast bestimmt auch was mit meinem Verlobten gehabt!«, wären jedoch in dem gediegenen Ambiente nicht so gut angekommen. Aber, wenn man dadurch zu schnelleren Resultaten käme? Claudia kniff die Augen zusammen, als wollte sie abschätzen, ob sie mit Anlauf über den Tresen springen oder besser blitzschnell darum herumgehen sollte, um ihren Plan tatsächlich umzusetzen. Die Angestellte schien jedoch ihre Gedanken erraten zu haben, denn rasch fügte sie hinzu: »Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine befriedigendere Auskunft geben kann. Aber weder Möller Junior noch Möller Senior haben uns bis jetzt mit einem Besuch beehrt. Wenn Sie mir jedoch nicht glauben, werde ich noch einmal meinen Kollegen dazu fragen.«
Claudia hob abwehrend die Hand.
»Nicht nötig! Sparen Sie sich den Weg! Ich werde dann mal Herrn Spatz suchen. Vielen Dank für Ihre Mühe!«
»Aber, Sie können doch jetzt nicht einfach …«
»Muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich bei der Polizei bin und momentan ermittle? Möchten Sie vielleicht einen kurzen Blick auf meine Dienstmarke werfen?«
»Nein, nein, das meinte ich nicht so«, befriedigt nahm die Kommissarin zur Kenntnis, dass die Frau zumindest den Anstand hatte, zu erröten. Wurde ihr etwa doch noch der Respekt gezollt, den sie verdiente?
»Ich wollte Sie nur warnen, dass Sie etwas aufpassen sollten, da wir heute ein Turnier haben und gegebenenfalls ein paar Golfbälle nicht so fliegen, wie sie sollten.«
»Danke, sehr freundlich, aber ich kenn mich hier aus.«
Claudia verließ durch die weit geöffneten Flügeltüren das Gebäude und stand auf der Terrasse. Unter den weißen Sonnenschirmen saßen einige Damen, ein erfrischendes Kaltgetränk mit zierlich abgespreizten kleinen Fingern genießend. Eine Gruppe Herren – vermutlich die Ehemänner – war gerade im Begriff, zu ihrem Wettbewerb aufzubrechen. Scherzend überprüften sie noch ihre Golfwagen, sortierten die Eisen oder zupften ihre Kleidung zurecht. Um die Ecke bog gerade ein Vater mit seinem zehnjährigen Sohn. Beide hochzufrieden nach einem angenehmen Samstagvormittag in der Natur.
Claudia ließ den Blick über das schöne Grundstück gleiten. Wo sollte sie denn jetzt bei circa 115 Hektar ihren Schwager in spe finden? Nun, sie würde eben die Löcher einzeln ablaufen müssen. Wenn Andreas vor einer halben Stunde angefangen hatte, konnte er ja noch nicht allzu weit sein.
72
Wolfgang war eigentlich nie auf Besuch eingestellt. Normalerweise benutzte er seine kleine Wohnung nur zum Schlafen, Duschen und wenn er Pech hatte und seine Mutter wie jetzt gerade mal wieder im Urlaub war, auch zum Essen. Dementsprechend gab es natürlich auch nichts mehr in seinem Kühlschrank, denn er hatte es noch nicht so heraus mit den Wocheneinkäufen. Misstrauisch holte Erika die Milch heraus und schnupperte an der Tülle.
»Wolfi?«, rief sie über die Schulter. »Ich glaub, ich trinke meinen Kaffee heute ausnahmsweise mal schwarz!«
Wolfgang kam aus dem Badezimmer, nur ein Handtuch um die schmalen Hüften und hob entschuldigend die Hände.
»Sorry Erika, aber ich geh erst nachher zum Supermarkt. Hab, wie schon gesagt, etwas verschlafen und gestern war doch so ein schlimmer Tag für mich, da hatte ich irgendwie andere Sorgen.«
»Schon gut!«
Sie setzte sich auf den einzigen, aber dafür sehr wackeligen Stuhl und beobachtete ihren Mitarbeiter. Einige Wassertropfen am Rücken, bekanntlich die Stelle, an die man beim Abtrocknen am schlechtesten hinkam, glänzten wie kleine Diamanten auf der leicht gebräunten Haut. Er war schon ein sehr appetitlicher Bursche, der Wolfgang. Es wäre ein Frevel gewesen, wenn er jetzt etwas angezogen hätte. Zum Glück tat er das nicht, sondern fing stattdessen etwas verlegen an, einige leere Bierflaschen wegzuräumen. Erika kam in den vollkommenen Genuss, das geschmeidige Muskelspiel eines schön gebauten Mannes beobachten zu dürfen. Ein
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