Der Semmelkoenig
tragisch, Madl«, murmelte er freundlich und nahm mit seiner Geste der jungen Frau tatsächlich etwas von dem angestauten Zorn.
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Je weiter Hannes fuhr, umso bekannter kam ihm die Gegend vor. An einer Kreuzung bremste er, sah noch einmal auf die Liste der Zeugen, verglich den Namen der Straße und zuckte mit den Achseln. Was hatte er erwartet? Das war eine kleine Stadt. Er gab sich noch zwei Tage, dann würde er sich wie ein Einheimischer auskennen. Eine alte Dame mit einem Rollator kam neben seinem Fahrrad zum Stehen. Er nickte ihr freundlich zu. Sie blickte misstrauisch zurück. Hannes versuchte ein Lächeln.
»Was soll das, junger Mann!«, wies sie ihn zurecht. »Sie brauchen gar nicht so zu feixen. Ihre Sorte kenn ich!«
»Verzeihung? Wie meinen Sie das jetzt, bitte?«
Statt einer Antwort drehte sie mit Schwung ihr Vehikel um und zuckelte in die andere Richtung, weg von ihm. Hannes blickte ihr verwundert nach, aber bevor er weitere Überlegungen anstellen konnte, klingelte sein Handy. Claudia Hubschmied – endlich!
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»Hannes, tut mir leid, dass ich mich jetzt erst bei dir melde! Aber hier geht momentan echt alles drunter und drüber.«
Claudia Hubschmied drehte sich von Willy Haderer weg und begann, über den Parkplatz zu schlendern. Eigentlich hatte sie die nächste Zeit keinen Kontakt zu Hannes haben wollen, denn sie war momentan zu verärgert und auch zu verwirrt. Aber als sie sich jetzt mit dem lüsternen Rentner allein sah, schien es ihr ein dringendes Bedürfnis, den Kollegen zurückzurufen. Drei Botschaften auf der Mailbox waren ja wohl Grund genug. Außerdem musste Hannes auch über die neusten Ereignisse informiert werden. Einen Kieselstein vor sich her kickend und Doktor Franks Zigarette rauchend, berichtete sie in kurzen Worten, dass sie den zusammengeschlagenen von Hasenbach gefunden hatten.
»Ja, er ist jetzt im Krankenhaus. Wir sind gerade dabei, festzustellen, wo er eigentlich überfallen worden ist … Nein, ich bin noch vor dem Golfclub … Ja, ja, genau. Maus ist mit der Truppe unterwegs … Was ich jetzt mache?«, mühsam konnte sie gerade noch ein hysterisches Kichern unterdrücken. »Zeugenbefragung!«
Ein Blick über die Schulter reichte jedoch, um wieder ernst zu werden, denn Haderer warf ihr eine Kusshand zu. Der Kerl war einfach unsagbar widerwärtig. Sie ging die Reihe der geparkten Autos weiter, strich einem Jaguar liebevoll über die Motorhaube, blickte durch das Heckfenster eines Land Rovers – da müsste aber mal aufgeräumt werden – sah etwas blinken, bückte sich, um es besser in Augenschein nehmen zu können und rief überrascht: »Wos is denn des?«
Hannes war, obwohl er sich das niemals eingestanden hätte, glücklich. Endlich hatte sie zurückgerufen! Zwar hatte er eine Anspannung in ihrer Stimme hören können, aber die lockerte sich während ihres Telefonats. Fast dümmlich lächelnd stand er an der Kreuzung, lauschte ihrem Bericht, beobachtete dabei die alte Frau, die nicht allzu schnell war und wünschte sich fast, dass dieser Moment ewig dauern würde. Erst bei Claudias letzter Bemerkung wurde er schlagartig hellhörig. Sein Instinkt sagte ihm, dass der kollegiale Plausch nun vorbei war.
»Was? Was meinst du? Hast du etwas …?«
Claudia Hubschmied ließ die Hand mit dem Handy sinken, suchte mit der anderen in der Jacke nach einem Taschentuch, wurde fündig und hob den Gegenstand vorsichtig damit auf. In der Sonne blitze der Mercedesschlüssel noch intensiver. Nein – sie korrigierte sich – eigentlich war es der Anhänger, den sie nur zu gut kannte, denn sie hatte ihn Josef Möller zum 150. Jubiläum der Firma Anfang Februar geschenkt; eine Sonderanfertigung, eine silberne Brezel mit eingraviertem Namen.
Tja, damals hatte sie sich nicht lumpen lassen und ihr Schwiegervater in spe war tatsächlich sehr gerührt gewesen, hatte deshalb in einem unbeobachteten Moment dankbar in ihren Hintern gekniffen und ihr vertraulich zugeraunt: »Madel, du bist fei viel zu gut für meinen Sohn. Wir zwei würden doch viel besser passen. Lass es dir durch den Kopf gehen!« Dass sie ihm daraufhin eine Ohrfeige gegeben hatte, bereute sie immer noch nicht. Er hatte es verdient!
»Claudia? Hallo? Bist du noch dran?«, tönte es aus dem Handy in ihrer Hand und riss sie aus ihrer gedanklichen Reise in die Vergangenheit.
»Du hör mal!«, sie musste sich erst einmal sammeln, um das Ganze verstehen zu können. »Ich hab da was Merkwürdiges gefunden! Ich halte hier den
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