Der Semmelkoenig
Autoschlüssel von Josef Möller in der Hand.«
Und es ist ohne Zweifel der vom Semmelkönig, führte sie im Geiste die Erklärung weiter. Aber warum lag er hier? Und wo war der Besitzer? Sämtliche Alarmglocken schrillten auf. Offensichtlich war heute noch mehr passiert als der Überfall auf den Münchner Privatermittler. Mein Gott! Ihr war doch selbst das Auto ganz am Ende des Parkplatzes aufgefallen. Aber anstatt gleich wichtige Schlüsse zu ziehen, war sie lieber wutentbrannt auf der Suche nach ihrem untreuen Verlobten gewesen. Zum ersten Mal in ihrer beruflichen Laufbahn hatte sie sich von persönlichen Dingen ablenken lassen.
»Hannes?«, flüsterte sie kleinlaut. »Hannes, ich denke, dass nicht nur von Hasenbach etwas passiert ist, sondern auch dem Josef Möller. Sein Mercedes steht hier. Ich … ich seh da mal nach!«
Sie rannte los. Rannte die lange Reihe der Autos ab, kam ans Ende und sah da schon die angelehnte Fahrertür. Sie musste jetzt schnell handeln. Um keine eventuellen Spuren zu verwischen, öffnete sie mit klopfendem Herzen die Tür mit dem Ellbogen, blickte ins Fahrzeuginnere und runzelte die Stirn. Am anderen Ende der Leitung hatte es Hannes aufgegeben, weiter auf sich aufmerksam zu machen, und wartete, während er die Alte beobachtete, deren Rollator sich in einer Rille des Gullys verfangen hatte. Sollte er ihr helfen? Aber bevor er reagieren konnte, klang Claudias Stimme atemlos durch das Telefon. Hannes musste sich sehr konzentrieren, um sie richtig zu verstehen.
»Was? Was meinst du? … Und es ist tatsächlich was passiert? … Sein Auto ist offen? … Auf dem Sitz ist ein Fleck? … Ja, klar könnte das Blut sein! Geh mal eben um den Wagen rum! Was siehst du? … Abgerissene Zweige? … Ja, ja, ich denke auch, dass da ein Kampf stattgefunden hat. Vor allem, wenn du den Schlüssel an einer ganz anderen Stelle gefunden hast. Das könnte bedeuten, dass er versucht hat, zu entkommen. Verflixt! Das klingt nicht gut! … Ja, ja. So seh ich das auch. Aber du bist ganz sicher, dass die im Club ihn heute noch nicht gesehen haben? … Tja, dann … Ist die Spurensicherung in der Nähe? … Okay. Ja, das ist eine gute Idee. Ich …«, unsanft wurde er zur Seite gestoßen. Ärgerlich fuhr er herum und sah eine Krankenschwester und einen Pfleger an sich vorbeirennen.
»Soll ich dann mal hinkommen?«, fragte er und ärgerte sich gleichzeitig über die beiden unhöflichen Leute, die ihn so grob und ohne Entschuldigung fast in den Ginsterbusch am Wegrand gestoßen hätten. »Ach so, ja ich verstehe …«
Hannes sah jetzt, wie die Krankenschwester fast schon brutal versuchte, der alten Frau den Rollator wegzunehmen.
»Gut, du hast recht. Jeder sollte seinen Job erledigen. Na dann, werd ich eben noch die eine Zeugin …«
Die Schimpftirade war natürlich vorhersehbar und durchaus verständlich! Selbst der Pfleger – eindeutig der einfühlsamere Part des Duos – konnte die Frau nicht mehr beruhigen.
»Lassen Sie mich augenblicklich los, Sie Xanthippe!«, keifte sie und schlug der Krankenschwester auf die Hand. »Was erlauben Sie sich. Ich bin nicht ausgerissen und ich geh auch nicht mehr in Ihr schreckliches Heim zurück! Von Ihnen lasse ich mir gar nix befehlen!«
»Claudia? Hallo? Hörst du mich noch?«
»Ich will nach Hause! Sofort! Rufen Sie meinen Sohn an, der wird Ihnen aber dann mal gehörig den Marsch blasen!«
»Ja, es ist jetzt grad ein bisschen laut geworden und ich versteh dich kaum noch.« Hannes musste sich das rechte Ohr zuhalten, um Claudia besser verstehen zu können.
Ein Schmerzensschrei ertönte, als das Pflegepersonal versuchte, die Ausreißerin den Gehsteig entlangzuschieben, und diese sich mit einem gezielten Treffer ihrer Handtasche auf den Kopf der Schwester zu wehren versuchte.
»Weißt was? Wir halten uns auf dem Laufenden und treffen uns dann auf dem Revier. So in ’ner Stunde, ja?«, rief Hannes und trat schnell einen Schritt zurück, um sich aus der direkten Gefahrenzone zu begeben. Während die tobende Alte an ihm vorbeigeschoben wurde, regte sich ein klein wenig sein schlechtes Gewissen. Warum hatte er Claudia nicht erzählt, dass er ihren Cousin mittlerweile nicht mehr für den Täter hielt? Ach, dazu war ja noch später Zeit. Auch von dem Streit zwischen Erika und Anni würde er ihr dann erzählen. Er wusste ja selbst noch nicht so genau, wie alles zusammenhing. Nachdenklich schob er das Rad wieder auf die Straße, stieg auf und machte sich auf den Weg,
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