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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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Sie war es gewohnt, aufzufallen, und dieser Mann war ihr schon gestern ins Auge gestochen. Groß, auf seine Art gutaussehend und vor allem fremd. Sie liebte alles Neue. In einstudierter Langsamkeit schob sie die Sonnenbrille auf den Kopf, schüttelte dabei ihre schönen Locken, klimperte mit den Wimpern und war dann bereit, sich zu nehmen, was ihr zustand.
    »Wir sind uns schon begegnet. Leider wurden wir uns noch nicht offiziell vorgestellt, aber ich weiß schon, dass Sie der Experte aus Berlin sind?«, gurrte sie. Hannes Kehle war trocken geworden, deshalb kam die Korrektur nur sehr rau über seine Lippen.
    »Celle«, krächzte er, aber Sybille schien sich sowieso nicht für Geografie zu interessieren. Befriedigt verbuchte sie seinen verstohlenen Blick auf ihr schönes Dekolleté als einen Pluspunkt und spann den visuellen Faden weiter, indem sie sich leicht nach vorne beugte, um umständlich etwas in ihrer Handtasche zu suchen. Hannes schluckte hörbar. Sybille lächelte. Ein Wellensittich kreischte schrill aus einem der geöffneten Fenster des Nachbarhauses. Das Handy klingelte.
    »Das is Ihres!«, Sybille lächelte immer schöner.
    »Was meinen Sie?«
    »Na, Ihrs, Ihr Handy. Vielleicht sollten Sie mal rangehn?«
    Es war Steffi. Hannes musste sich sehr zusammenreißen, um sie nicht merken zu lassen, dass er jetzt gerade überhaupt keine Zeit für einen Plausch hatte, denn so eine Behandlung verdiente sie wirklich nicht. Während er nun versuchte, sich halbwegs auf das Gespräch zu konzentrieren, entging ihm keiner von Sybilles auffallenden Reizen, die sie weiterhin, gekonnt zufällig, zur Schau stellte.
    »Ja, Steffi, mir geht’s gut und an das Rad habe ich mich auch schon gewöhnt. Wir sind mittlerweile sehr gute Freunde und demnächst bei der Tour de France dabei«. Er wusste gar nicht, dass er so witzig sein konnte. Steffi lachte am anderen Ende der Leitung und auch Sybille schien amüsiert.
    »Aha, aha … Gut … Hast du eigentlich neue Infos zu … Aha, aha … Also, dir hat man auch nichts Genaueres sagen wollen … Ach, Maus möchte noch nicht … Hmhm … Ja, klingt vernünftig, sonst haben wir bald stille Post … Okay, dann werd ich mal ’nen Zahn zulegen. Um vier Uhr sagst du? … Ja, ja, das schaff ich! Vielen Dank für deinen Anruf und bis später!«
    Er legte auf, dachte einen Moment nach und stellte kurzerhand den Klingelton des Geräts auf stumm. Er wollte nicht mehr gestört werden.
    »Tut mir leid, aber wir sind mitten in einem Fall, Frau Möller-Spatz.«
    »Sybille«, korrigierte sie. »Sagen Sie doch einfach Sybille zu mir.«
    »Äh, ja gerne, Sybille. Ich heiße übrigens Hannes Petersen.«
    »Hannes, das klingt aber hübsch. So nördlich. Sind Sie Wikinger?«
    Er lachte, was sie etwas zu irritieren schien.
    »Nein, nein, kein Wikinger. Ich bin einer von den Guten. Sie wissen schon, ich bin bei der Polizei und raube und morde nicht.«
    Sie mochte es nicht, wenn man sie nicht ernst nahm und ihr damit indirekt mangelnde Intelligenz unterstellte. Sybille war im Grunde ihres Herzens ein sensibles Mädchen, das gelernt hatte, ihre geistigen Mängel mit ihrem guten Aussehen zu vertuschen. Hannes – ein Mann eben, der ihre Frage nur süß fand – konnte das natürlich nicht wissen, wunderte sich aber dennoch, warum sie plötzlich abweisend reagierte. Er versuchte einen neuen Anlauf.
    »Sie wissen schon. Die waren Räuber und Mordbuben?«
    »Weiß doch jeder!«
    Gleichgültig zuckte sie die Achseln, aber da sie nicht nachtragend war und ihr der Polizeibeamte immer besser gefiel, erschien gleich wieder ein zuckersüßes Lächeln. Innerlich atmete Hannes auf.
    »Und Sie wollten jetzt zu mir, Hannes? Halten Sie mich für schuldig an den Morden der beiden Erzieherinnen? Möchten Sie wissen, wo ich zur Tatzeit war?«
    »Leider bin ich das nicht. Also, äh, natürlich würde ich jetzt viel lieber mit Ihnen …«
    Er schien es wirklich zu bedauern, was sie noch versöhnlicher stimmte. »Aber Sie haben gar nicht so unrecht. Ich bin tatsächlich auf dem Weg zu einer Zeugin, einer Frau Klöter, Susanne Klöter. Sie wohnt hier in …«
    »Im Strauß-Weg 13«, vollendete sie den Satz und verdrehte die Augen.
    »Oh, Sie kennen die Dame?«
    »Hannes, Hannes, Hannes, sie is fast meine Nachbarin und wohnt in einem der Mietshäuser, die mein Mann betreut. Ihr Sohn geht mit meinen Kindern in den Kindergarten und sie is die größte Nervensäge der Stadt!«
    »Ach, doch so beliebt?«, schmunzelnd beobachtete er

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