Der Sensenmann
den Kopf. Er sah aus wie ein Mann, der mir kein Wort glaubte.
Ich ging auf ihn zu und schlug ihm leicht auf die Schulter. Dabei lachte ich. »Machen Sie sich nichts daraus, mein lieber Hinz, aber wir sollten die Zukunft schon sehr ernst nehmen.«
»Wie kommen Sie darauf? Hat er Ihnen etwas gesagt?«
»Ja. Er wird uns jagen.«
»Nein, das ist…«
»Doch. Und ich weiß auch, warum er die beiden Männer umgebracht hat. Sie haben ihn auf oder in der Nähe eines Friedhofs gesehen. Er wollte keine Zeugen haben, und deshalb mußten sie sterben. Der Friedhof war sehr wichtig für ihn, denn nur dort hat er die Jahrhunderte überleben können.«
»Das ist unglaublich und unfaßbar«, flüsterte Uwe Hinz.
»Aber leider wahr. Und ab jetzt wird er Jagd auf uns machen. Wir sollten uns vorsehen. Er hat gesagt, er will alle jagen, die ihm in die Quere gekommen sind.«
»Glauben Sie ihm das denn?«
»Bestimmt.«
»Wie hat er überleben können?«
»Indem er zur anderen Seite überlief. Zuvor ist er ein Flandlanger der damaligen Kirchenfürsten gewesen, doch das hat sich geändert. Als er merkte, daß man sich von ihm abwandte und sogar der Plan bestand, ihn zu töten, da stellte er sich auf die andere Seite und gehorchte von diesem Zeitpunkt an nur dem Teufel. Er muß ein sehr gläubiger Diener der Hölle gewesen sein, sonst hätte er nicht über Jahrhunderte hinweg überleben können. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Das wenige reicht schon. Darf ich fragen, wie es jetzt weitergehen soll und was Sie Vorhaben?«
»Ja. Ich werde sein Grab suchen.«
»Sie wollen auf den Friedhof?«
»Sicher.«
Uwe Hinz senkte den Blick. »Was… was… könnte es denn dort Interessantes zu sehen geben?«
»Ich will wissen, wo er gelegen hat und ob es dort noch Spuren gibt, die uns gefährlich werden könnten.«
Das verstand der Bamberger Kommissar nicht. Es war sowieso in den letzten Minuten zuviel auf ihn eingestürmt, und so konnte er nur den Kopf schütteln. »Welche Spuren denn? Wenn es welche gegeben hätte, dann wären sie bestimmt aufgefallen.«
»Das kann alles sein. Aber daran denke ich im Moment nicht. Ich gehe auch davon aus, daß er auf dem Friedhof möglicherweise sein Versteck hat, aber das ist alles noch reine Theorie.«
»Nehmen Sie mich mit?«
»Wenn es Ihre Zeit erlaubt?«
»Eigentlich nicht. Ich müßte zurück in mein Büro und den letzten Fall aufnehmen. Eben so arbeiten, wie man es gewohnt ist. Aber das ist jetzt wohl nicht mehr möglich. Dieser Fall läuft völlig anders als die, mit denen ich normalerweise zu tun habe.«
»Da kann ich Ihnen nicht widersprechen.«
»Sollen wir direkt fahren?«
»Das wäre mir lieb.«
Uwe Hinz ging einen Schritt auf seinen Lancia zu, blieb dann stehen und schaute mich an. »Ich will Ihnen ja nichts, Mr. Sinclair, aber ich denke, daß man, wenn man seine Worte auf die Goldwaage legt, auch an Frau Goldwyn denken sollte. Der hat ihnen doch prophezeit, daß er all die Menschen jagen will, die ihm in die Quere gekommen sind. Ich könnte mir vorstellen, daß er sich auch auf Sarah konzentriert, wenn wir ihn schon nicht sehen.«
»Danke.«
»Wofür?«
»Daß Sie mich daran erinnert haben.«
Ich holte mein Handy hervor. Es funktionierte auch hier unten, und schon bald hatte ich die Verbindung zu Sarah aufgenommen. Sie befand sich bereits im Archiv. Ihre Stimme klang leicht ungeduldig, weil sie sich gestört fühlte.
»Nein, John«, sagte sie, bevor ich reden konnte, »ich habe noch nichts gefunden.«
»Das ist auch nicht tragisch. Ich rufe dich aus einem anderen Grund an. Ich hatte Kontakt zum Sensenmann.«
»Was?«
»Ja.«
»Los, erzähl!«
Ich gab ihr einen stichwortartigen Bericht, und Lady Sarah konnte es kaum fassen. »Überlebt«, flüsterte sie. »Ja, das habe ich schon vermutet. Und jetzt will er sich rächen.«
»Auch an dir.«
»Was schlägst du vor?«
»Wir gehen zu dem Ort, an dem er gelegen hat. Zum Friedhof. Ich möchte dich bitten, ins Hotel zu kommen, wenn du mit deiner Arbeit fertig bist. Sei nur vorsichtig. Man weiß nicht, wozu dieser untote Killer noch fähig ist.«
»Mach ich, John.«
»Jetzt ist mir wohler«, sagte ich und lächelte Uwe Hinz zu. »Lady Sarah hätte ich doch beinahe vergessen.«
Er winkte ab. »Wozu hat man ein zweites Gedächtnis?«
»Wunderbar, kommen Sie.«
Wir gingen wieder zu seinem Wagen und stiegen ein. Noch mußten wir in der Parklücke warten, weil wir ein helles Augenpaar sahen, das von der linken Seite her
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