Der Serienmörder von Paris (German Edition)
und er zog sich zur Erholung der überstandenen Strapazen nach Auxerre zurück. Er kehrte zu Beginn des Februars 1944 erstmalig in die Rue Le Sueur zurück und entdeckte voller Entsetzen, dass überall im Haus Leichen lagen.
Nach der illegalen Vernehmung übergab Capitaine Simonin Petiot der Kriminalpolizei. Am nächsten Tag stellte man Simonin selbst vor ein offizielles Tribunal, das Fälle von vermutlicher Kollaboration untersuchte. Es war eine fünfminütige Anhörung, die mit dem Urteilsspruch „Schuldig“ endete, woraufhin Simonin seines Postens beim Geheimdienst enthoben wurde. Danach löste er sich in Nichts auf. Als er Jahre später wieder an die Öffentlichkeit trat, war er der festen Überzeugung, dass seine Bestrafung von einer bestimmten Fraktion eingeleitet worden war, die sich an ihm für die Verhaftung Petiots rächen wollte.
Petiot wurde unverzüglich an Lucien Pinault von der Kriminalpolizei, Kommissar Massus Nachfolger, sowie an Ferdinand Gollety, den Untersuchungsrichter, überstellt, der nach französischem Recht die Vernehmung vor dem Prozess leitete, die Zeugen einberief und ein Dossier zusammenstellte. Wenn der Untersuchungsrichter genügend Gründe für eine Verhandlung sah, leitete er den Fall an den Staatsanwalt weiter, der daraufhin Anklage erhob. Gollety, ein kleiner Mann aus Boulogne-sur-Mer im Norden Frankreichs, eilte der Ruf eines rationalen Rechtsvertreters voraus, der nicht mit sich spaßen ließ und peinlichst genau auf Details achtete. Er bekleidete seinen Posten – seinen ersten und einzigen – damals schon seit 32 Jahren!
Der Verhaftete durfte zu dem Zeitpunkt nur Angaben zu seiner Identität machen und keine längeren Aussagen. Natürlich hielt sich Petiot aber nicht an die Vorgabe:
Mich quält überhaupt kein schlechtes Gewissen. Ich bin stolz auf meine Verdienste als Patriot. Hätte ich alle Gesetze befolgt, dann hätte ich mich den Gesetzen des Krieges unterworfen. Durch die Besatzung war ich gezwungen, bestimmte Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Unter den Kameraden gab es 50, die von meiner wahren Identität wussten. Wenn mich nur einer von den 50 verraten hätte, wäre ich ans Messer geliefert worden … [usw.]
Petiot verpflichtete erneut den aufstrebenden, an der Sorbonne ausgebildeten Strafverteidiger Maître René Edmond Floriot, der erst 41 Jahre alt war. Der „unvergleichliche Pedant und Detail-verliebte“ Floriot hatte Petiot schon in den beiden Fällen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vertreten. Petiot konnte Floriots Talent bereits 1937 bestaunen, als der Rechtsanwalt Magda Fontages eine seiner Patientinnen vertrat, die sich wegen versuchten Mordes an Graf Charles de Chambrun verantworten musste, dem französischen Botschafter in Italien. Fontages war dafür bekannt, viele mächtige Politiker verführt zu haben, darunter sogar Benito Mussolini, der ihr gerüchteweise beim Liebesspiel – von der Leidenschaft gepackt – das schwarze Seidenhalstuch vom Körper riss und sie in einer Art Mordphantasie symbolisch erdrosselte.
Die vorgerichtliche Anhörung entwickelte sich zu einem aufwändigen Verfahren, das letztendlich 14 Monate in Anspruch nahm. Die erste Befragung, die sich auf die Feststellung der Identität beschränkte, verzögerte sich um 36 Stunden, da der 1. November ein offizieller Feiertag war. Petiot wurde in Zelle 7 des siebten Trakts des Gefängnisses de La Santé geführt, einem großen, grauen Gebäude, das man 1867 im 14. Arrondissement errichtet hatte. Neben Petiot saßen dort der Kollaboration Verdächtigte ein, Gestapo-Agenten, Schwarzmarktgauner und weitere Personen, die beschuldigt wurden, in irgendeiner Weise von der deutschen Besatzung profitiert zu haben. Petiots Trakt war für Häftlinge vorbehalten, die die Todesstrafe erwarteten.
„Seit dem Tag, an dem die Deutschen in Paris auftauchten, gehörte ich zur Résistance“, erklärte Petiot in der ersten offiziellen Vernehmung am 2. November 1944. Er wiederholte viele schon gegenüber Capitaine Simonin gemachte Behauptungen, schmückte sie jedoch mit Details aus. Er hatte angeblich falsche Behindertenausweise ausgestellt, um Franzosen vor der Deportation nach Deutschland zu bewahren oder vor anderen Aufforderungen und Zwangsmaßnahmen, die von den Besatzungsbehörden angeordnet wurden. Er erzählte davon, wie er die geheime Waffe zwei Mal einsetzte und damit einen deutschen Kradfahrer auf der Rue Saint-Honoré tödlich verletzte sowie einen Soldaten auf der Rue
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