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Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02

Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02

Titel: Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Streitmark

11
     

Kriegsrat
     
     
    Einer Sache war sich Hile Troy sicher: Was Covenant auch reden mochte, das Land war kein Traumgebilde. Das erkannte er mit einer Deutlichkeit, die ihm Herzschmerzen bereitete. In der ›wirklichen‹ Welt war er nicht bloß blind gewesen; ihm hatten von Geburt an die Augen gefehlt. Ihm fehlten schon die Organe des Sehvermögens, die ihm einen Begriff davon hätten vermitteln können, worum es sich beim Sehen überhaupt handelte. Bis zu dem mysteriösen Vorfall, der ihn aus der Zange zweier verschiedener Todesarten riß und ins sonnenbeschienene Gras Trothgards warf, waren Helligkeit und Dunkelheit für ihn gleich unbegreiflich gewesen. Er hatte nicht gewußt, daß er in undurchdringlicher Mitternacht lebte. Seine physische Umwelt hatte er mit den Werkzeugen des Gehörs, des Tastsinns und der Sprache gemeistert. Sein Sinn für die räumliche Umgebung, sein Gespür für die Aura von Objekten und die Resonanzen des Raums fanden ihre Umsetzung in Worte, bis sie sein einziger Maßstab für die konkrete Welt geworden waren; er hatte sich zu einem hervorragenden Strategen entwickelt, gerade weil seine Wahrnehmungen des Raums und interaktiver Kräfte absolut rein blieben, keinerlei Beeinträchtigung durch das Wissen um Tag und Nacht erfuhren, um Farben, Glanz oder Trugbilder. Daher war er ganz einfach dazu außerstande, sich das Land zurechtfantasiert zu haben. Sein einstiges Bewußtsein hatte die Rohstoffe nicht besessen, aus denen solche Träume bestanden. Als er ins Land verschlagen worden war – als Lord Elena ihn davon informierte, daß dieser Zustrom von Wahrnehmungen, die ihn verwirrten, nichts anderes war als Sehen –, fing für ihn ein vollkommen neues Dasein an. Er erhielt nichts Verlorenes zurück. Etwas eröffnete sich ihm wie ein Orakel. Er wußte, das Land war eine Realität. Und er wußte, seine Zukunft hing am seidenen Faden seiner Strategie für den bevorstehenden Krieg. Wenn er einen Fehler machte, dann gerieten mehr Glanz und Farbe in den Untergang, als er jemals zu ermessen vermochte. Deshalb erlebte Troy, als Ruel, der ihm zugeteilte Bluthüter, sein Quartier betrat und ihm mitteilte, aus den Ebenen von Ra sei ein Mähnenhüter der Ramen mit der Kunde vom Anmarsch von Lord Fouls Armee gekommen, einen Augenblick der Panik. Er nahm seinen Lauf, der Testfall für all die Ausbildung des Kriegsheers, seine Pläne und Hoffnungen. Hätte er Lord Mhorams Geschichtchen von einem Schöpfer geglaubt, er wäre auf die Knie gesunken, um zu beten. Aber er hatte gelernt, auf niemanden zu bauen als sich selbst. Das Kriegsheer und die Strategie waren von ihm geformt; er hatte den Befehl. Er nahm sich gerade noch genug Zeit, um das ererbte Traditionsschwert des Streitmarks mit Ebenholzgriff umzuschnallen und den Stirnreif aufzusetzen. Dann folgte er Ruel zur Klause. Auf dem Weg dorthin war er froh um den hellen Schein der Fackeln in den Gängen. Selbst im Fackelschein blieb seine Sicht trüb. Im Tageslicht konnte er klar sehen, sogar mehr Details erfassen und weiter in die Ferne spähen als die weitsichtigen Riesen. Die Sonne brachte ihm Fernes nah; manchmal hatte er das Gefühl, mehr vom Land als jeder andere zu besitzen. Die Nacht jedoch brachte seine Blindheit wieder, wie eine hartnäckige Erinnerung daran, woher er stammte. Wenn die Sonne untergegangen war, blieb er ohne Fackeln oder Feuer hilflos. Der Sternenschein durchdrang seine persönliche Dunkelheit nicht, und selbst der Vollmond bescherte seinem Geist nichts als einen grauen Streifen. Bisweilen erschreckte die Sichtlosigkeit ihn mitten in der Nacht so, als handele es sich bei seiner Nachtblindheit um einen endgültigen Widerruf von Sonnenschein und Sehvermögen. Gewohnheitsmäßig rückte er seine Schutzbrille zurecht. Aus Rücksicht auf die Menschen mit Augen, die ihn anschauen mußten, hatte er sie so lange getragen, daß sie ihm inzwischen wie ein Teil seines Gesichts vorkam. Er sah sie nicht; sie wirkte auf seine Art von geistigem Sehen nicht ein. Nichts im Umkreis von fünfzehn Zentimetern um seine leeren Augenhöhlen war für ihn sichtbar.
    Um seine Spannung in den Griff zu bekommen, ging er ohne Eile zur Klause. Einmal begegnete ihm eine Gruppe von Scharwarten, Befehlshaber von Scharen des Kriegsheers, und sie salutierten, ehe sie ihn zum Gerassel ihrer Schwerter überholten und voraushasteten. Lord Verement kam wie ein Falke über eine breite Treppe herabgesaust und stürmte an ihm vorbei. Aber er beschleunigte

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