Der siebte Schrein
opfern, das sie zurücklassen mußte. Wenn sie jemand herumschleichen sah, würde er sich auch um diese frühe Morgenstunde nichts weiter dabei denken, aber nicht, wenn sie Satteltaschen über der Schulter trug. Sie nahm nur das mit, was in den im Mantel eingenähten Taschen Platz fand, wenig mehr als ein Paar Strümpfe zum Wechseln und frische Wäsche. Frau Palan schnarchte immer noch, als Moiraine die Tür hinter sich schloß.
Der hagere Stallbursche, der Nachtdienst hatte, war verblüfft, sie zu sehen, da der Himmel gerade erst grau wurde, aber als er einen Silberpfennig bekommen hatte, klopfte er sich an die Stirn und sattelte ihre braune Stute. Sie bedauerte, daß sie ihr Lastpferd zurücklassen mußte, aber nicht einmal eine närrische Adlige - das hatte sie den Mann murmeln hören - würde ein Lasttier mit auf einen frühmorgendlichen Ausritt mitnehmen. Sie kletterte in den hoch ausgeschnittenen Sattel von Pfeil, schenkte dem Mann ein kühles Lächeln anstelle des zweiten Pfennigs, den er ohne die Bemerkung bekommen hätte, und ritt langsam auf die nassen, menschenleeren Straßen hinaus. Nur ein Ausritt, wie früh es auch sein mochte. Es versprach ein schöner Tag zu werden. Der Himmel schien sich ausgeregnet zu haben, immerhin, und es wehte kaum Wind.
Die Lampen in den Straßen und Gassen brannten noch, so daß nirgendwo mehr als blasseste Schatten zu sehen waren, aber die einzigen Menschen auf den Beinen waren die Patrouillen der Nachtwache und die Lampenanzünder, die schwer bewaffnet ihre Runden drehten und darauf achteten, daß keine Lampe ausging. Ein Wunder, daß Menschen so nahe an der Großen Fäule lebten, daß aus jedem dunklen Schatten ein Myrddraal treten konnte. Aber niemand ging nachts aus. Nicht in den Grenzländern.
Aus diesem Grund war sie überrascht, daß sie nicht die erste am westlichen Tor war. Sie zügelte Pfeil und wahrte sicheren Abstand zu den drei sehr großen Männern, die noch ein Lastpferd hinter ihren Reittieren mitführten. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem geschlossenen Tor, und ab und zu wechselten sie ein Wort mit den Wachen. Sie warfen kaum einen Blick in Moiraines Richtung. Im Licht der Lampen waren ihre Gesichter deutlich zu sehen. Ein grauhaariger alter Mann und ein junger mit hartem Gesicht, die geflochtene Lederbänder um die Köpfe trugen. Malkieri? Sie glaubte, das bedeuteten die Bänder. Der dritte war ein Arafellin mit Glöckchen in den Zöpfen. Derselbe Mann, den sie aus der Himmelspforte hatte kommen sehen.
Als der erste Sonnenstrahl zuließ, daß die Tore geöffnet wurden, waren mehrere Händlerkarawanen zur Abreise eingetroffen. Die drei Männer ritten als erste hinaus, aber Moiraine ließ eine Karawane mit einem Dutzend Wagen hinter jeweils acht Pferden vorbei, ehe sie ihnen über die Brücke und auf die Straße durch die Hügel folgte. Aber sie behielt die drei in Sichtweite. Bis jetzt ritten sie noch in dieselbe Richtung.
Sie kamen schnell voran, gute Reiter, die kaum einmal die Zügel benutzten, aber Moiraine hatte gegen einen Trab nichts einzuwenden. Je mehr Distanz sie zwischen sich und Cadsuane brachte, desto besser. Die Wagen der Kaufleute blieben zurück und waren schon lange nicht mehr zu sehen, bevor sie gegen Mittag das erste Dorf erreichten, eine kleine Gruppe von Steinhäusern mit Ziegeldächern, die sich auf einem bewaldeten Hügel um ein winziges Gasthaus drängten. Moiraine hielt sich gerade lange genug auf, um zu fragen, ob jemand eine Frau namens Avene Sahera kannte. Die Antwort lautete nein, daher galoppierte sie weiter und wurde erst langsamer, als sie die drei Männer, die ihre Pferde nach wie vor zur Eile trieben, wieder vor sich auf der gestampften Straße sehen konnte. Vielleicht wußten sie nicht mehr als den Namen der Schwester, mit der der Arafellin gesprochen hatte, aber alles, was sie über Cadsuane oder die beiden anderen in Erfahrung bringen konnte, könnte nützlich sein.
Sie überlegte sich mehrere Pläne, wie sie sich ihnen nähern konnte, verwarf aber jeden. Drei Männer auf einer verlassenen Waldstraße konnten durchaus der Meinung sein, eine junge Frau allein wäre eine gute Gelegenheit, besonders, wenn sie waren, was sie befürchtete. Sie würde ohne Schwierigkeiten mit ihnen fertig werden, sollte es dazu kommen, aber das wollte sie vermeiden. Der Wald wich vereinzelten Bauerngehöften, und die Gehöfte wieder einem größeren Wald. Ein roter Haubenadler flog über ihnen dahin und wurde zu einem Umriß vor der
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