Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
einzigen kleinen Sonnenstein. Als Tal näher kam, blitzte der Stein auf und Ebbitts Geistschatten trat aus dem Dunkel hinter dem Thron.
Es war eine große Katze mit einer dicken Mähne um den Kopf und einem Buckel. Sie war auch im dämmrigen Licht des Tunnels noch vollkommen schwarz – das Zeichen für einen mächtigen Geistschatten. Die Katze gähnte Tal an, als er näher kam und ließ ein paar hellere Schatten in ihrem gewaltigen Maul sehen.
Tals Schattenwächter verwandelte sich respektvoll in eine kleinere Version der bemähnten Katze. Tal ging ein paar Schritte näher heran, aber nicht zu nah. Er hatte vor Ebbitts Geistschatten schon immer ein wenig Angst gehabt, auch wenn er wusste, dass er ihn nie verletzen würde.
„Großonkel“, sagte er. Als sich Ebbitt nicht bewegte, sagte er es noch einmal etwas lauter. „Großonkel!“
Ebbitt bewegte sich noch immer nicht. Tal ging noch einen Schritt weiter nach vorn und schrie beinahe: „Onkel Ebbitt!“
Jetzt reagierte der alte Mann auf dem Thron. Er schoss hoch und rief: „Töte!“
Der riesige Katzen-Geistschatten sprang nach vorn. Tal machte einen Satz rückwärts und fiel über einen kleinen dreibeinigen Stuhl geradewegs auf den Boden.
KAPITEL FÜNF
Tal als Schattenwächter schoss im letzten Augenblick unter ihn und fing seinen Aufprall ab, damit er nicht ohnmächtig wurde.
Ebbitt lachte, als Tal sich langsam aufrappelte und die Katze sich gemächlich wieder neben den Thron setzte, zur Rechten des alten Mannes.
„Hab ich dich reingelegt, Junge?“, schnaufte Ebbitt. „Du dachtest, ich schlafe, stimmt’s?“
Tal war verärgert, als er aufstand, zeigte es aber nicht. Es, gab keinen Grund, Ebbitt böse zu sein. Er lachte nur und schnaufte.
„Ich brauche deine Hilfe, Onkel Ebbitt“, sagte Tal schnell. Ebbitt konnte einem mit seinen Überraschungen und Streichen zwar auf die Nerven gehen, aber er war um einiges behilflicher als Lallek und Korrek, wenn man ihn brauchte.
„Hilfe?“, fragte Ebbitt. Sein Lachen verschwand und er sah plötzlich nicht mehr wie ein alter Narr aus. Tals Gesichtsausdruck und sein ernsthafter Ton verrieten ihm offensichtlich, dass der Junge ernsthafte Sorgen hatte. „Worum geht’s?“
„Du weißt doch von Vater“, sagte Tal so hastig, dass er kaum zu verstehen war. „Ich weiß nicht, ob du wusstest… er hatte unseren Erhabenen Sonnenstein dabei. Wir brauchen einen neuen. Ich habe Lallek und Korrek gefragt, aber sie wollten mir nicht helfen. Ich glaube, weil Schattenmeister Sushin sie darum gebeten hat. Also habe ich mich für den Wettkampf in der Kategorie Körperbeherrschung eingetragen. Für heute. Das Problem ist, dass irgendwie… ich muss einen Fehler gemacht haben… ich bin jetzt für den Wettkampf in Musik eingeschrieben. Aber ich habe keine Komposition. Der Wettkampf ist in … oh! Zehn Minuten!“
„Schattenmeister Sushin“, murmelte Ebbitt. „An dieser Sache ist zweifelsohne etwas düster. Aber erst einmal brauchst du ein Musikstück.“
Er hüpfte von seinem Thron, kletterte über einen langen Tisch und sprang dann – seinen Geistschatten an der Fersen – zu einer Truhe. Von dort kroch er unter einer Hängematte durch, die von der Decke herabhing. Hinter einem großen silbernen Gong verlor Tal Ebbitt aus den Augen. Einen Augenblick später tauchte er mit einer Schriftrolle in der Hand wieder auf.
„Der Marsch der Muldren auf Drashamore Hood!“, rief er, winkte mit der Rolle und sprang über all die Möbel hinweg zurück zu Tal.
„Was ist das?“, fragte Tal und nahm die Rolle. Er erkannte, dass jemand auf traditionelle Weise Musik auf die Schriftrolle geschrieben hatte: links die Noten, rechts das Licht.
„Der Name des Stücks“, antwortete Ebbitt. „Niemals aufgeführt. Die Muldren waren – sind – Krieger in Aenir. Sie leben jenseits der Gegenden, wo die Erwählten normalerweise hingehen. Drashamore Hood war ein Monster. Glaube ich.“
„Was ist dann passiert?“, fragte Tal und starrte auf die Schriftrolle.
„Das sag ich dir später“, sagte Ebbitt. „Du musst es zum Kristallwald schaffen. In neun Minuten.“
„Neun Minuten“, stöhnte Tal und sah auf seinen Sonnenstein. „Das schaffe ich nie.“
„Wir müssen per Dampf gehen. Los.“
Ebbitt nahm Tal beim Arm und führte ihn so schnell zwischen den Möbeln hindurch, dass Tal ein paar Stücke umwarf und sich mehrfach die Knie anstieß.
„Dampf?“, fragte Tal. „Was soll das heißen, Dampf?
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