Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
Schleier auflösen.
Eine Unmenge an Schnee fiel herab. Kalte, nasse Klumpen trafen Tals Gesicht und er war bereits völlig durchnässt. Er erinnerte sich daran, dass er ohnmächtig gewesen war, wusste aber nicht wie lange. Dem tauben Gefühl in seinen Beinen und Händen nach zu urteilen, musste es lange gewesen sein.
Er schaute nach unten. Dort gab es nichts zu sehen als Dunkelheit. Eine so beängstigende Dunkelheit, dass Tal die Augen schließen musste. Er wollte lieber schlafen, als in eine Welt ohne Licht zu blicken.
Wahrscheinlich, dachte Tal, war er in Wirklichkeit tot. Dies war das Leben nach dem Tod. Außerhalb des Schlosses gab es nichts. Er war gestorben und irgendwo hin gelangt. Wahrscheinlich würde er ewig fallen…
Doch er hatte nicht das Gefühl, dass er tot war. Er konnte seinen Körper spüren, der vor Kälte und Angst zitterte. Er spürte, wie der Schattenwächter seine Position leicht veränderte, wie er versuchte vor Tal zu kommen, um ihn noch mehr vor dem Wind zu schützen. Leider steckte der größte Teil seines Schattenkörpers in den Flügeln, mit denen er durch die Dunkelheit schwebte.
So flogen sie dahin. Tal verlor jedes Gespür für die Zeit und das Gefühl in seinem Gesicht und den Händen. Immer wieder öffnete er die Augen, blinzelte gegen den wirbelnden Schnee und das Eis, blinzelte seine eigenen Tränen weg. Aber es war noch immer kein Licht zu sehen.
Etwas später war Tal beinahe wieder bewusstlos und völlig durchgefroren. Er dachte, er würde sterben. Und dass dieser furchtbare Flug durch Dunkelheit und Schnee niemals enden würde. Dann sah er es. Ein helles Glühen irgendwo vor sich, dort unten.
„Das Schloss!“, schrie Tal – oder versuchte es zumindest, denn seine Lippen waren zusammengefroren und alles, was er hervorbrachte, war ein gedämpfter Schrei.
Der Schattenwächter zog seine Flügel an und sie flogen zum entfernten Licht. Es ist ganz sicher das Schloss, dachte Tal und verschwendete keinen Gedanken daran, dass der Wind sie weit von zu Hause weggetragen haben musste. So weit er wusste, gab es auf der ganzen Welt nichts anderes – es musste einfach das Schloss sein.
Doch als sie näher heranflogen, staunte Tal immer mehr. Sein müder, frierender Verstand kämpfte mit dem, was er da sah. Das Licht war zu klein und zu schwach, um vom Schloss zu stammen. Es hätten doch hunderte von Lichtern sein müssen. Tausende!
Er fragte sich noch immer, was das wohl sein konnte, als sein Schattenwächter plötzlich zischte und verzweifelt mit den Flügeln schlug, um ihren Flug abzubremsen.
Drei sehr lange Sekunden später schlugen Tal und sein Schattenwächter gegen einen Abhang. Schnee stob in alle Richtungen davon, als sie sich in eine dicke, tiefe Schneewehe bohrten.
KAPITEL ZWÖLF
Sie fielen tief in die Schneeverwehung ein. So tief, dass Tal befürchtete zu ersticken, bevor sie wieder an die Oberfläche gelangen würden. Wenigstens hatte der Schattenwächter seinen Sonnenstein losgelassen. So hatte er ein wenig Licht und konnte abschätzen, wo oben und unten war.
Das dachte er zumindest. Von einer Schneewehe begraben zu sein, war, wie unter Wasser zu sein. Der kalte, nasse Schnee war überall um ihn und drang in seinen Mund und seine Nase, wann immer er zu atmen versuchte. Die einzige Bewegungsmöglichkeit bestand darin, halb zu schwimmen und halb zu graben.
Glücklicherweise wärmte ihn der Sonnenstein und beleuchtete den Weg. Als Tal es schließlich aus der Schneewehe heraus geschafft hatte und nur noch bis zur Hüfte im Schnee steckte, hielt er den Sonnenstein hoch und konzentrierte sich darauf. Er wurde heller und Wellen warmer Luft flossen über Tals Hände und seine völlig durchnässten Kleider.
Tal stöhnte und lächelte, als er dank der Wärme wieder seine gefrorenen Hände und sein Gesicht spürte.
Es schienen Tal Stunden, wie er so dastand und die warme Luft um sich fließen ließ, die er mit seinem Sonnenstein erzeugen konnte. Doch er wurde nicht richtig warm. Sein Schattenwächter lag über seinen Schultern wie ein zusätzlicher Mantel, doch das half nichts.
Noch schlimmer als die Kälte war seine Orientierungslosigkeit. Um ihn war nichts als Schnee, so weit das Licht seines Sonnensteins reichte. Es gab keine anderen Lichter in der Dunkelheit.
Es war eine völlig fremdartige Landschaft. Sie kam Tal noch eigenartiger vor als die Geistwelt von Aenir. Dort war er wenigstens einmal gewesen; er hatte gelernt, damit umzugehen. Was wäre,
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