Der siebte Turm 03 - Aenir - Reich der Schatten
drang erst jetzt an die Oberfläche. „Und Hazror hat ihn mir nicht gegeben. Auch die beiden Sonnensteine nicht. Deswegen müssen wir so weit wie möglich wegfliegen.“
„Wieso?“, fragte Adras. Dann fügte er in einer leicht veränderten Tonlage hinzu: „Oh, ich verstehe. Hazror wird sie zurückhaben wollen.“
Dann, noch etwas später, fragte der Sturmhirte vorsichtig: „Wie übel und furchtbar ist er denn?“
„Sehr übel und sehr furchtbar“, sagte Tal. Schlimmer als er es sich je vorgestellt hatte – vor allem, weil er keine Kreatur aus Aenir war.
Wie konnte ein Erwählter so werden wie Hazror? Weshalb lebte er auf eine solch abscheuliche Weise und lauerte unschuldige junge Erwählte auf?
Dann kam Tal ein noch viel schlimmerer Gedanke.
Wie fanden die jungen Erwählten Hazror? Weshalb gingen sie überhaupt zu ihm? Es war ja nicht gerade so, dass sein Bau leicht zu finden war oder in einer Gegend lag, wo man einfach einen Geistschatten finden und an sich binden konnte.
Waren sie vielleicht alle vom Kodex geschickt worden so wie er? Geopfert für all die Versuche, die Knochenflöte zu erbeuten, die jetzt um Tals Hals hing?
Oder hatte sie jemand anderes in den Tod geschickt?
Lenan war ein sehr kluger Junge gewesen, wie Tal sich erinnern konnte. Er hatte das letzte Lektorium als Klassenbester abgeschlossen. Vielleicht hatte er ein paar der Dinge herausgefunden, die Tal jetzt gerade entdeckte.
Tal hatte eine Menge Fragen. Er hoffte, dass er bald den Kodex finden und ihm ein paar Antworten entlocken konnte.
Auch wenn er Angst vor diesen Antworten hatte.
KAPITEL NEUNZEHN
„Ich werde Tal mit dem Kodex helfen“, hustete Milla. Der Rauch war so schnell dichter geworden, dass sie fast erstickte. Odris konnte sie nicht mehr sehen. Dennoch versuchte Milla langsam und voller Stolz zu sprechen. Sie bettelte nicht darum, vor dem Feuer gerettet zu werden.
„Exzellent!“, sagte Zicka. „Fang!“
Er zog einen Pfeil aus seinem Köcher, band ein beinahe unsichtbares Seil aus Spinnseide daran fest und warf den Pfeil mit einer eleganten Bewegung in Richtung von Millas Hand. Sie fing den Pfeil mit Leichtigkeit auf. Draußen in der Dunkelwelt hatte sie schon größere Pfeile gefangen, die auf sie abgeschossen worden waren. Das war ein seltenes Talent und ein weiterer Beweis ihrer Fähigkeiten als Kriegerin.
„Du bist jetzt mit der Außenseite verbunden“, sagte Zicka. „Halt Odris fest und geh langsam nach draußen. Zerreiße das Seil nicht!“
Er ging langsam rückwärts und spulte dabei noch mehr Spinnseide ab.
Milla griff hinter sich und bekam etwas Weiches und Flauschiges zu fassen, von dem sie hoffte, dass es Odris war. Die Sturmhirtin fühlte sich anders an als sonst, doch Millas Augen tränten wegen des Rauches so stark, dass sie nichts sehen konnte.
Sie beugte sich so tief wie möglich nach unten, wo es noch etwas frische Luft gab, und ging nach draußen.
Der Rauch drang mit ihr nach draußen, doch sie ging noch solange weiter, bis auch Odris gänzlich im Freien war.
„Gut!“, rief Zicka. „Jetzt müssen wir nur noch die Nanuchs abhängen, bevor sie aufwachen.“
„In welche Richtung?“, fragte Milla. Sie sah nur durch ein tränengefülltes Auge etwas.
„Hier lang!“, rief Zicka und machte sich schon davon. Milla stolperte ihm nach, wobei sie immer noch Odris festhielt. Die Sturmhirtin gab keinen Laut von sich.
Glücklicherweise kam so viel Rauch aus dem Baum, der sie verbarg, dass keiner der Nanuchs ihre Flucht bemerkte. Dennoch führte Zicka sie in hohem Tempo noch lange durch den grauen Wald. Milla keuchte erschöpft, als der Wald plötzlich zu Ende war. Die Bäume hörten an einer langen, vollkommen geraden Linie auf.
Hinter der Linie lag eine Fläche aus ordentlich geschnittenen Hecken und Rasen voller Blumenbeete in den verschiedensten Farben.
Zicka blieb jenseits der Bäume stehen.
„Wir werden uns hier ausruhen“, sagte das Kurshken. „Dann gehen wir am Waldrand entlang Richtung Norden. Es ist besser, den Garten nicht zu betreten.“
„Weshalb?“, fragte Milla. Es kostete sie einige Anstrengung, überhaupt zu sprechen.
„Ich weiß es nicht“, sagte Zicka. „Ich weiß nur, dass jeder, der die ersten paar Reihen der Hecken überschreitet, nie mehr zurückkehrt.“
Milla starrte den perfekt angeordneten Garten an. Er erstreckte sich so weit wie sie nur sehen konnte und schien vollkommen ungefährlich zu sein. Allerhand Insekten summten um die Blumen
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