Der siebte Turm 03 - Aenir - Reich der Schatten
Sturmhirte. „Ich blase einfach in die Flöte. So.“
Er hob die Flöte und blies hinein, bevor ihn jemand aufhalten konnte.
Ein einzelner, klarer Ton, fast unhörbar hoch, erklang aus der Flöte. Er schien von überall her zu erklingen, nicht nur aus der Flöte selbst. Echos erhallten aus allen Richtungen und überlagerten den Klang.
Der Ton wurde lauter und lauter und als er noch weiter anschwoll, bewegte sich plötzlich der Berg.
Es begann mit einem Rumpeln tief im Boden und einer Vibration, die zuerst die Knochen in Tals Beinen durchrüttelte und dann bis zu seinen Zähnen hochstieg. Kleine Steine und Erdbrocken fielen vom Berg ab, gefolgt von Büschen und Bäumen, deren Wurzeln sich lösten, als die Erde in den Spalten, in denen sie wuchsen, vom Rücken des Berges abgeschüttelt wurde.
Tal sah, dass Adras erstaunt war. Der Sturmhirte zögerte ein wenig und der Ton wurde unsauber.
„Puste weiter!“, schrie Tal.
Der Sturmhirte nickte und blies weiter. Der Ton wurde noch stärker.
Ein gewaltiger Schlag war zu hören und ein Vorhang aus Staub und Erde explodierte rund um den Berg. Tal und Milla schützten ihre Augen mit den Händen und bewegten sich vorsichtig vorwärts.
Als sich die Staubwolke verzog, sahen sie, dass sich der Berg aus der Erde erhoben hatte. Auf der weit entfernten anderen Seite konnten sie das Tageslicht sehen, durch einen Spalt von vielleicht nur einer Spanne Höhe. Doch der Berg hob sich weiter und der Spalt wurde größer.
„Los!“, rief Zicka. „Los!“
Tal und Milla rannten geduckt los, so schnell sie es bei dem Staub und auf dem unebenen Boden konnten.
Milla zählte im Laufen die Schritte und rief alle zehn laut aus. Einer ihre Schritte entsprach ungefähr einer Spanne. Bei ungefähr einhundertzwanzig mussten sie den Kodex sehen.
Sie liefen immer weiter in den tiefen Schatten unter dem Bauch des Berges. Er war so nah, dass Tal nur hochspringen musste, um den Fels zu berühren. Doch darum kümmerte er sich nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Suche nach dem Kodex.
„Hundert!“, rief Milla.
„Da ist er!“ Tals Stimme klang erleichtert.
Er zeigte auf ein Loch in der Felsdecke direkt vor ihnen. Ein Rechteck aus silbernem Licht leuchtete hell in der Dunkelheit.
Sie liefen darauf zu. Tal sprang hoch, konnte sich aber nirgends festhalten und fiel wieder zu Boden. Bevor er noch einmal springen konnte, benutzte Milla seinen Rücken und seine Schultern als Sprungbrett. Sie schaffte es mit Leichtigkeit nach oben und streckte einen Arm nach unten, um Tal hochzuziehen.
„Ist das der Kodex?“, keuchte Milla und zeigte auf die leuchtende Platte.
Das silberfarbene Rechteck blitzte auf und Buchstaben erschienen darauf. Tal las die Worte, ohne bewusst darauf zu achten.
Ja, ich bin der Kodex. Hebt mich auf und lauft! Lauft! Lauft! Lauft!
Tal packte die eine Seite des Kodex und Milla die andere. Beide sahen nach unten und bemerkten, dass sich der Berg noch immer weiter hob. Sie mussten jetzt mindestens sechs Spannen tief springen oder warten, bis sich der Berg wieder senkte. Doch das würde die Gefahr erhöhen, dass sie auf dem Rückweg zerquetscht wurden!
Sie hoben den Kodex an und sprangen.
Genau in diesem Moment hob sich der Berg noch weiter.
Tal und Milla landeten hart auf Händen und Füßen. Den Kodex ließen sie fallen.
Schmerz fuhr in Tals linke Schulter und er schrie.
„Ahhhh! Meine Schulter!“
„Die Seiten wechseln!“ rief Milla knapp und lief auf die andere Seite, um ihre Hände unter den Kodex zu schieben. „Nimm deine rechte Hand. Er ist nicht schwer.“ Sie warf einen Blick auf Tals Arm und sah, dass der viel tiefer hing, als es normal war. Tal hatte sich die Schulter ausgekugelt, doch sie hatte keine Zeit, sie wieder einzurenken.
Tal schluckte ein paar Tränen hinunter und stolperte um den Kodex herum. Er konnte seinen linken Arm nicht mehr bewegen und nahm an, dass er an mehreren Stellen gebrochen war – oder etwas ähnlich Schlimmes. Doch ein einziger Blick auf die riesige Felsmasse über ihm genügte, um ihn seine Hand unter den Kodex schieben zu lassen und ihn anzuheben.
„Los! Los!“, rief Milla. Sie liefen wieder los, ein ungeschicktes Stolpern mit dem Kodex zwischen ihnen, der die Maße einer Tür hatte.
Sie waren auf halbem Weg zurück in den Sonnenschein und damit in Sicherheit, als die Flöte verstummte. Im selben Augenblick hörte der Berg auf, sich zu heben.
„Schneller!“, rief Milla.
Tal schrie auch etwas, doch er wusste
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