Der Siegelring - Roman
Gallier der Erde übergab und ihn der Obhut seiner Götter anvertraute. Gratia und Ulpia Rosina waren ebenfalls dabei, und als sich die Gemeinschaft schließlich verstreute und jeder wieder seinen Aufgaben nachging, schloss die Hausherrin sich Annik an.
»Ich möchte mit dir reden«, sagte sie kurz angebunden. Auch sie wirkte an diesem neblig grauen Morgen blass und unglücklich. Annik wusste sehr wohl, warum, aber von sich aus mochte sie das Thema Martius nicht ansprechen.
Rosina tat es von sich aus, als sie in der Glasschleifer-Werkstatt angekommen waren.
»Er geht fort. Er hat es dir gesagt, nicht wahr?«
»Ja, er geht nach Rom. Sein sehnlichster Wunsch, stärker als alles andere, Domina.«
»Und Valerius Corvus verlässt mich auch.«
Annik spielte mit einem gläsernen Pokal, der noch keine Verzierung erhalten hatte. Sie wusste darauf wenig zu sagen.
»Glaub nicht, dass ich es dir übel nehme, Annik. Du weißt nur zu gut, dass ich mit meinem Gatten keine Ehe geführt habe. Ach, die Götter wissen, ich wäre lieber eine einfache Handwerkerin geworden als eine vornehme Dame. Vielleicht hätte ich sogar einen Mann gefunden, mit dem ich über meine Arbeit hätte sprechen können. Einer, der die gleichen Interessen hat, der - Schönheit schaffen will. Aber meine Familie ist zu vornehm für so etwas.«
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und weinte leise.
»Seht die Zukunft nicht zu düster, Domina. Ihr habt noch immer Eure Kunst.«
»Meine Kunst - dilettantisches Herumkratzen auf Glas.«
»Aber wirklich nicht. Ihr seid außerordentlich begabt.«
»Na und? Wärmt mir das mein Bett?«
Annik schwieg.
Ulpia Rosina schaute plötzlich auf und sagte mit giftiger Stimme: »Sie haben sich das hübsch ausgedacht, die Männer. Wusstest du, dass Falco bereit ist, das angeschlagene Glas zu übernehmen?« Mit unerwartet heftiger Wut warf Rosina Ulpia eine Glasschale an die Wand, wo sie mit einem Klirren in tausend Scherben zersprang. »Aber er wird sich das noch gut überlegen. Er bekommt nicht nur beschädigte Ware, er bekommt auch noch eine ungebetene Draufgabe!«
»Seid Ihr schwanger, Domina?«
»Bin ich. Und leider werde ich es auch bleiben. Diese Hexe, zu der Ursa mich geschickt hat, will mir das Kind nicht wegmachen. Zu gefährlich bei einer Dame wie mir.«
Ein weiteres Glas zerschellte an der Wand.
»Dieser verdammte, dieser verfluchte Feigling. Dieser selbstsüchtige, rücksichtslose Kerl!«
Sie brach wieder in Tränen aus. Annik stand auf und nahm sie in die Arme. Auch sie war im Augenblick ratlos. Es mochte ja ein passendes Arrangement sein, wenn Falco nach der Scheidung Rosina heiratete, aber der Scheidungsgrund - der Nichtvollzug der Ehe mit Valerius Corvus - brachte beide Männer in den Ruf, gehörnt worden zu sein.
Sacht wiegte sie die von Schluchzern geschüttelte Rosina in den Armen, während ihr die verschiedensten Möglichkeiten durch den Kopf gingen. Keine kam nur irgendwie annähernd in Frage, ohne dass die Beteiligten in irgendeiner Form bloßgestellt würden. Es wäre wahrhaft das beste, wenn sie das Kind verlöre. Aber es war nicht ungefährlich.
»Wie lange schon, Domina?«, flüsterte sie in die Haare der Weinenden.
»Beinahe vier Monate!«
Annik seufzte. Viel zu gefährlich. Und mit einem Schauder dachte sie an die Fehlgeburt, die sie etwa in jenem Stadium gehabt hatte. Nach der sie nie wieder empfangen hatte.
Ein Fünklein entzündete sich in ihrer Brust. Ein winziger Hoffnungsschimmer. Eine verrückte Lösung. Eine, die einen schmerzlichen Verzicht auf der einen Seite und viel Toleranz auf der anderen voraussetzte, aber nicht gänzlich unmöglich war. Die, wenn sie es recht betrachtete, sogar eine geradezu glänzende Möglichkeit wäre.
»Annik?« Ulpia Rosina hatte bemerkt, wie sich Anniks Körper straffte, und sie sah mit verweinten Augen auf. »Was denkst du?«
»Ulpia Rosina, wärt Ihr bereit, das Kind zur Welt zu bringen und anschließend sofort darauf zu verzichten? Obwohl es von Martius stammt?«
»Ich will das Kind nicht. Ich will nichts, was mich an ihn erinnert. Nichts, schon gar nicht sein Kind!«
»Nun ja. Es gäbe da einen Ausweg. Aber wir werden uns einiges überlegen müssen, wenn wir es so durchführen wollen, wie ich es mir denke.«
»Wenn du mir hilfst, Annik, ich bin zu allem bereit.«
»Das Kind wird etwa im Juli geboren, wenn Eure Rechnung stimmt. Es hängt alles ein wenig davon ab, wann Valerius zum Statthalter von Nordgallien ernannt wird und wann
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