Der Siegelring - Roman
er sich dorthin begibt. Aber ich denke, man kann das bald überschauen. Ich muss natürlich mit ihm darüber sprechen, und auch Ihr müsst ihm die ganze Wahrheit sagen.«
»Bei Minerva, Annik, was hast du vor?«
»Euer Kind als das meine auszugeben.«
»Du bist wahnsinnig! Das ist ein Opfer, das du …«
»Ulpia Rosina! Ich habe zwei Kinder verloren. Ich bin seit der letzten Fehlgeburt unfruchtbar. Für mich wäre es ein Geschenk.«
»Aber Valerius? Du kannst ihm das nicht antun, das Kind eines anderen Mannes!«
»Er weiß, dass ich keine Kinder bekommen kann. Er ist durchaus bereit, das Kind eines anderen Mannes zu akzeptieren, denn er hat davon gesprochen, einen Sohn zu adoptieren, wenn er einen Erben wünscht.«
»Du kannst ihm keinen Erben schenken, du wirst nur seine Konkubine sein.«
»Richtig, ich wollte damit auch nur andeuten, dass er
wahrscheinlich nichts dagegen hat, sich um ein fremdes Kind zu kümmern.«
»Ist er ein so großherziger Mann?«
»Ja, Rosina, das ist er. Ihr habt ständig nur sein Äußeres gesehen, und das hat Euch abgestoßen. Ich weiß, gegen solch tiefe Abneigungen kann man nicht viel tun. Ich hatte nie Scheu vor Wunden und Narben. Mein Vater war ein alter Haudegen, seine Gefolgsleute in vielen Scharmützeln erprobt, die Fischer und Jäger müssen in meiner Heimat mit einer Wildheit der Elemente leben, die Ihr nicht kennt. Es gehört dazu, dass ein Mann, genauso wie die Frauen, Verletzungen erhalten, die Narben hinterlassen. Valerius hat eine furchtbare Wunde erlitten, und er hat den Tod besiegt. So sehe ich das.«
»Ich hätte dich früher kennen lernen müssen, Annik. Ich war so einsam, als man mich hierher schickte. Ich hatte meinen Geliebten verloren und sein Kind, das ich so gerne hätte heranwachsen sehen. Ich konnte mit niemandem sprechen, man hat mir über alles das zu schweigen geboten. Und von einem Tag auf den anderen wurde ich mit einem völlig fremden, viel älteren und verkrüppelten Mann verheiratet. Niemand hatte Verständnis für mich, niemand hat mir von Valerius Corvus’ Schicksal erzählt, keiner hat es mir so erklärt, wie du es jetzt getan hast.«
»Nun ja, aber jetzt ist es so, wie es ist, Rosina, und wir wollen sehen, ob wir daraus nicht das Beste machen können. Je mehr ich darüber nachdenke, desto idealer erscheint mir die Lösung. Ihr werdet natürlich bis zur Geburt hier auf dem Gut bleiben müssen und Euch so wenig wie möglich den Besuchern zeigen. Mag sein, dass es etwas einsam wird.«
»Ich habe sowieso keine Lust, mich mit Menschen zu treffen.«
»Gut. Auch ich werde mich zumindest in den letzten Monaten hier aufhalten, aber wenn das Kind geboren ist, werde ich schnellstmöglich mit ihm zu Valerius in das Haus in der Stadt ziehen. Und wenn wir nach Armorica gehen, wird dort erst recht niemand wissen, dass es nicht mein Kind ist.«
»Aber es ist rechtlos, das musst du bedenken. Das Kind einer Konkubine.«
Annik lächelte Ulpia Rosina an und schüttelte den Kopf.
»Nein, Rosina, dieses Kind hat eine Mutter. Ich habe zwar auf mein Erbe verzichtet, aber diese Tochter oder dieser Sohn können Anspruch erheben auf die Führerschaft meines Volkes. Rosina - es spielt auch noch etwas anderes eine Rolle dabei. Es ist das Kind meines Freundes Rayan, einem Abkömmling aus unserem besten Rittergeschlecht. Ich werde dieses Kind zu einem Fürsten erziehen, und Valerius Corvus ist der Mann, der machtvoll genug ist, seinen Anspruch, den es durch mich hat, durchzusetzen.« Sie lachte auf und sagte dann mit einem Grinsen: »Er hat ihn gegen einen entfernten Vetter von mir durchzusetzen. Der Ärmste ist ein braver Mann, aber gegen Valerius Corvus hat er keine Chance.«
»Es ist vollkommen verrückt, Annik. Aber ich glaube, du hast wirklich eine Lösung gefunden. Es könnte so gehen - wenn Valerius und Falco zustimmen.« Ulpia Rosina stand auf und kniete sich vor Annik, der Töpferin, hin und legte ihr mit einem Aufatmen der Erleichterung den Kopf in den Schoß. »Danke, meine Freundin.«
Annik lachte und streichelte ihr die dunklen Haare.
»Es würde Martius zutiefst beglücken, wenn er wüsste, dass sein Kind in seiner Heimat einst eine führende Rolle übernimmt.«
Ulpia Rosina nickte.
»Ja, vielleicht werde ich es auch einmal so sehen, wenn die Bitterkeit vergangen ist.«
»Und nun steht bitte auf, Domina. Wir haben ab jetzt unsere Rollen zu spielen.«
»Natürlich. Ich werde hier ein wenig arbeiten. Es beruhigt mich und lässt meine Gedanken
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