Der Siegelring - Roman
Hausgötter geworden. Glaubt Ihr nicht, dass auch sie durch das Trankopfer geneigt gemacht werden könnten, Euch bei Eurer Heilung beizustehen?«
»Du verehrst die Matronen?«
»Warum nicht? Sie sind den Göttinnen, die ich kannte, nicht unähnlich. Und sie scheinen hier schon lange zu wirken. Ich hörte, dass auch die Römer zu ihnen beten.«
»Ja, das tun wir.«
»Und dieses Haus ist ebenso das Eure wie die Villa.«
»Auch das stimmt. Worauf willst du hinaus?«
»Lasst mich hier für Euch das Opfer bringen, Dominus.«
»Bist du doch eine Priesterin?«
»Nein, das bin ich nicht. Aber ich denke, in einem Fall wie diesem kann auch ein anderer den Ritus für Euch vollziehen.«
»Du bist eine seltsame Frau, Annik«, sagte Valerius Corvus und lehnte sich wieder zurück. »Mische den Most und den alten Wein in einem Becher. Bedecke dein Haupt und bitte die Götter, deine Matronen, den Wein anzunehmen. Gib einen Teil davon in das Herdfeuer. Bitte sie um Heilung von alten und neuen Leiden. Für dich und für mich. Trink dann den Rest. Es ist eine einfache Zeremonie.«
»Ja, aber sehr schön.«
Annik ging wieder zu ihrer Truhe und holte die zweite Tunika hervor. Sie war aus feiner, weißer Wolle.
»Was hast du vor?«
»Ein passenderes Gewand anzuziehen und meinen Kopf zu bedecken.« Sie lächelte ihm zu. »Ihr braucht nicht rot zu werden, auch ich bin nicht schamhaft.«
Aber er drehte das Gesicht zur Wand, während sie rasch das Hemd abstreifte und in das lange Gewand schlüpfte. Sie hatte inzwischen gelernt, geschickt die Bänder und Fibeln zu befestigen und legte sich die Palla so um, dass ihr Kopf bedeckt war.
»Ihr könnt Euch wieder umdrehen.«
Valerius Corvus tat es und beobachtete dann, wie seine barbarische Töpferin mit ruhiger Anmut das kleine Ritual vollzog.
»War es recht so, Dominus?«
»Ja, Annik, es war recht so. Danke.«
»Dann werdet Ihr jetzt auch endlich essen und trinken?«
»Ja, das werde ich.«
Er nahm den Becher mit Wein entgegen und aß von dem Kuchen. Annik legte noch einen Scheit in das Herdfeuer und trank ebenfalls einen Becher Wein.
»Ihr Barbaren seid schon ein wenig verrückt«, sagte Valerius Corvus, als er seine Mahlzeit beendet hatte. »Eure Männer verstehen es hervorragend, blutige Wunden zu schlagen, und eure Frauen verstehen sich darauf, sie wieder zu flicken.«
»Falsch, Dominus. Wir Frauen verstehen es genauso, blutige Wunden zu verursachen.«
Sie deutete mit einem Seitenblick auf den Dolch, der noch neben dem Pfeil auf dem Schemel lag.
»Damit kannst du also auch umgehen?«
»Ich verwende ihn nicht nur dazu, meine Kleider zu zerschneiden, wisst Ihr.« Sie hob den Rest ihrer Leinentunika hoch und schnitt eine Grimasse. »Ein bisschen sehr kurz!«
»Du bekommst eine neue.«
»Dafür wäre ich Euch dankbar. Seltsam, ich hätte nicht gedacht, dass ich die feinen römischen Kleider einmal mögen würde. Das ist Ulpia Rosinas zivilisierender Einfluss, glaube ich. So, und nun schlaft, Dominus. Auch das wird die Heilung fördern.«
»Ich muss aber in den Morgenstunden …«
»Ja, ja, ja. Ich wecke Euch, wenn dieser blödsinnige
gallische Hahn sein Gezeter anstimmt. Die Leute sind dann noch verschlafen, und vielleicht merkt niemand, dass Ihr die Nacht hier verbracht habt.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich bin kaum in der Lage, das zu tun, was sie denken könnten. Aber wo schläfst du?«
»In einer Decke vor dem Herd. Da ist es warm genug. Doch eines der Polster in Eurem Rücken könntet Ihr mir überlassen.«
»Nimm es.«
Sie half ihm, sich bequemer zu legen und zog die Decke bis über seine Brust.
»Du hast eindeutig einen mütterlichen Zug, Töpferin Annik.« Er lächelte sie an und griff dann nach ihrer Hand. »Du wirst mir morgen noch eine Frage beantworten müssen.«
»Nein, ich muss gar nichts. Nun schlaft, Titus Valerius Corvus.«
Sie folgte ihrem Impuls und beugte sich noch einmal über ihn. Mit einem federleichten Kuss streifte sie seine Wange, dann machte sie sich los, nahm Polster und Decke, löschte die Lampe und rollte sich vor der Herdglut auf dem Boden zusammen.
Annik erwachte vor dem Hahn, denn ihr Lager war hart und kalt. Es war noch dunkel draußen, aber im Osten wurde der bewölkte Himmel schon fahlgrau. Müde lockerte sie ihre verkrampften Muskeln und blies in die Glut, um sie zu neuem Leben zu erwecken. Ein paar Tannenzapfen halfen, das Feuer auflodern zu lassen. Sie zog ihre Arbeitskleider an und stellte den Kessel auf das Feuer.
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