Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Vanessa seinen achten Platz bereits lobend erwähnt.
Der Bodyguard stand als Erster auf, als der Doppelstock-Zug bremste. Schon kurz vor dem Halt füllte sich der Gang mit Leuten, denn der Zug war gerammelt voll mit Touristen im Alter zwischen fünf und fünfzig Jahren. Richard ließ Vanessa den Vortritt und reihte sich als Vorletzter ein; nur ein Familienvater mit seiner Tochter auf dem Arm war noch später dran. Richard war dankbar, dass die gut halbstündige Bahnfahrt zu Ende war und er sich endlich ausstrecken konnte. Beim Aussteigen erwartete ihn ein Blitzlichtgewitter. Der gemeinsame Abend mit seinen Freunden war für die Regenbogenpresse anscheinend interessanter als das Diplom, stellte er ernüchtert fest. „Der jüngste der drei Prinzen endlich in Begleitung einer Frau“, sah er die Schlagzeile schon vor sich – so halb jedenfalls. Es waren ja noch drei andere junge Männer da, von denen zwei selbst ein Paar waren und kein Interesse an Frauen hatten. Aber Justin? Der schwatzte mit dem einheimischen Guide Stas über den neusten Dopingskandal und so getraute Richard sich, Vanessa in Richtung der Eishalle zu führen, denn die Dame alleine gehen zu lassen, gehörte sich ja nun nicht. Das löste nochmals Blitzlichter aus und es waren sicher nicht nur die Handys von Passanten. Vanessa schien es gelassen zu nehmen, vielleicht genoss sie die Aufmerksamkeit sogar. Richard fürchtete allerdings, das würde sich wohl ändern, wenn die Paparazzi bald jeden ihrer Schritte verfolgen würden. Er war sich nicht sicher, ob er ihr das wirklich zumuten durfte.
Die olympische Fackel brannte stolz über dem großen Platz mit den beeindruckenden Stadien und Richard fühlte sich mit seinem Diplom nun zu Recht als Teil davon. Dieser Gedanke baute ihn auf und so winkte er gut gelaunt zusammen mit Vanessa in die Kameras. Sie war klug, selbstbewusst und hätte in Mailand jederzeit als Model arbeiten können – vielleicht würde mit ihr ein noch nachhaltigerer Traum als eine olympische Medaille in Erfüllung gehen. Richard versuchte, den Höhenflug seiner Wünsche und Gedanken wieder zu beherrschen, denn jetzt war Etikette gefragt.
Ihr Weg führte sie zu einem großen, neuen Stadion, das mit geschwungenen Fassaden aus Glas in verschiedenen Blautönen einem Klotz eines Eisbergs und dessen Farbenspiel nachempfunden war.
Der korrekt gekleidete, schon betagte Earl Corby erwartete seine Gäste am Eingang des Iceberg Skating Palace, begrüßte seine Hoheit, vergaß nicht, das Diplom lobend zu erwähnen, und gratulierte den beiden jungen Medaillengewinnern aus Deutschland und der Schweiz sowie dem mit mehreren olympischen Diplomen ausgezeichneten Athleten aus Liechtenstein. Sie seien ja fast noch Kinder, meinte der Earl. Wenn Richard richtig rechnete, saß der Adlige schon mehr Jahre im IOC, als er selbst alt war. Nun durfte er erstmals an gesellschaftlich offizieller Stelle Vanessa del Monte Caslano vorstellen. Im Buckingham Palace würde man wohl aufhorchen.
Fabian fragte den Earl nach dem neusten Stand in der Dopingsache. Der wusste aber nicht mehr, als dass die B-Proben nach Lausanne unterwegs waren und dort im Beisein von Anwälten der betroffenen Sportverbände analysiert würden. Das gelte auch für die B-Proben aus den verspäteten Tests von ihm und Pesenbauer nach der alpinen Kombination. Koslows Leute, also der russische Skiverband, hätten auf Analyse der B-Probe gedrängt, nachdem die A-Probe negativ gewesen sei und es jetzt in denselben Teams schon wieder zu einer Unregelmäßigkeit gekommen sei. Mehr könne er dazu nicht sagen.
Sie waren zu spät dran, wurden aber dennoch in die VIP-Box eingelassen, manchmal war es ganz nützlich, ein Prinz zu sein. Richard setzte sich zwischen Vanessa und Fabian, Justin hatte auf Vanessas anderer Seite Platz genommen. Richard ertappte sich beim Gedanken, dass er dort lieber Florian gesehen hätte, doch das schwule Paar blieb selbstverständlich zusammen. Daran musste er sich auch erst gewöhnen. Er hätte sich vor einer Woche durchaus vorstellen können, dass beim Eiskunstlauf die Hälfte der Männer homosexuell wäre oder eben beim Turmspringen im Sommer, aber in der wohl am meisten von Testosteron geprägten Sportart der Winterspiele hätte er keinen Schwulen vermutet. Doch plötzlich saß er neben einem Schwulenpaar, das die Gold- und Bronzemedaillen nun wieder offen zeigte. Im Zug hatten sie ihre Auszeichnungen aus Sicherheitsgründen unter der Jacke verstecken müssen. So
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