Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
änderte sich eben die Welt oder der individuelle Blickwinkel auf sie, dachte er sich. Vermutlich war er auch das Opfer von Klischees gewesen, die in den Medien verbreitet wurden, erklärte er sich seine wiederlegten Vorurteile.
Sein wie er rothaariger Nachbar schien sich auch nicht sonderlich dafür zu interessieren, dass eine Ungarin bei einem Sprung kurz mit der Hand aufs Eis greifen musste. Fabian scrollte auf seinem Smartphone durch die Leserkommentare eines Nachrichtenportals – es ging wie zu erwarten um die neuen Dopingvorwürfe –, bis ihn Florian darauf aufmerksam machte, dass die Fernsehkamera für Publikumsaufnahmen ganz besonders gerne auf ihre Plätze gerichtet war.
Bei dem für Liechtenstein startenden Paar Tatjana Chrunowa mit ihrem Partner Gregori Mirko wachte der Glarner dann doch auf und erwähnte, er habe die beiden im Flugzeug kennengelernt. Das Paar bekam für sein Kurzprogramm stehende Ovationen, auch von Fabian, und sie winkten sogar vom Eis aus zu ihnen hoch. Doch gegen das Ausnahmetalent eines russischen Paars war nichts auszurichten und wenn das Paar am nächsten Tag bei der Kür nicht stürzte, dann war ihnen Gold sicher. Richard gratulierte Justin für den zweiten Zwischenrang seiner Landsleute.
Justin wollte noch bei Gregori vorbeisehen und Earl Corby machte das selbstverständlich für sie möglich. Das ukrainische Sportlerpaar im liechtensteinischen Exil machte vor Richard einen artigen Hofknicks, aber auf die drei Alpin-Medaillengewinner schien Gregori wirklich stolz zu sein und betonte immer wieder, er habe mit seiner Prognose recht gehabt und Fabian sei nun der Matthew Mitcham des Schneesports. Er fragte den Glarner, ob er sich bewusst sei, dass nun in vielen schwulen Schlafzimmern das Poster des Australiers durch ein Luchsiger-Poster ausgewechselt werden würde. Fabian meinte, das werde wohl erst dann der Fall sein, wenn man auch Skirennen in Badehosen absolvieren würde. Gregori wollte von den dreien nun ganz genau wissen, was inzwischen alles passiert sei.
Richard war damit aus dem Mittelpunkt gerückt, woran er bei solchen zumindest halboffiziellen Augenblicken nicht gewohnt war. Er war deshalb etwas unsicher, wie er sich verhalten sollte, und spürte, dass ihn in diesen Kreisen nur eine Medaille adeln würde – doch das war leichter gedacht als getan. Er war dankbar, als ihm der Earl vorschlug, auch den anderen beiden ausgezeichneten Eiskunstläuferpaaren zu gratulieren. Vanessa plauderte gerade angeregt mit Tatjana, und da sie mit Richard ja offiziell nicht einmal liiert war, sondern mit Justin, gehörte es sich auch nicht, sie aufzufordern, ihn zu begleiten.
So musste er mit dem Earl alleine zur russischen Garderobe gehen, wo man sich von dem Besuch offenbar eher gestört als geehrt fühlte, aber in der Hochstimmung des Sieges offerierten sie dem Prinzen trotzdem ein Glas zum Anstoßen, das so hochprozentig war, dass Richard glaubte, sein Hals würde explodieren. Bei den Chinesen stand er vor verschlossenen Türen und man erklärte ihnen, man müsse erst bei der Delegationsleitung anfragen, ob es im Interesse der Volksrepublik sei, sich mit der britischen Monarchie zu zeigen. Richard vermutete, dass da wohl auch die Enttäuschung eine Rolle spielte, am morgigen Tag mit Punkterückstand gegenüber den Liechtenstein-Ukrainern und vor allem den Russen in die Kür zu starten. In Anwesenheit des Earls hatte er die Ausladung jedenfalls ohne Kommentar zu akzeptieren. Also blieb ihm und Earl Corby nur der Rückzug in Richtung VIP-Ausgang. Dort erwarteten ihn bereits der kräftige Bodyguard James und der eher schmächtig gebaute Guide Stas. Kurz darauf stießen auch Vanessa und seine Sportlerkollegen dazu. Die Schweiz-Italienerin schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, was er als positives Zeichen wertete.
„Stas will uns noch ein besonderes Lokal für junge Leute zeigen“, erklärte Florian. Daraufhin meinte der Earl, er werde die jungen Leute nun alleine lassen. Er gehöre noch der Generation an, die heimlich in Kellern zu amerikanischem Rock ’n’ Roll getanzt hätte, erklärte er, und da dies schon eine Weile her sei, gehe er wohl jetzt besser ins Hotel.
„Das Lokal liegt in Sotschi“ erklärte Stas. „Wie ich bereits erwähnt habe, ist es ein schwulenfreundlicher jung-intellektueller Treffpunkt.“
„Ich finde Diskriminierung schrecklich und wir müssen die Leute unterstützen“, stimmte Vanessa zu. „Aber, Richard, darfst du als Prinz an so einen Ort gehen?
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