Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
als sich der frisch gebackene Olympiasieger zu ihm setzte.
„Man wird zu den Paralympics mich nicht mehr als Team-Guide einsetzen, sondern mir einen Schreibtischjob geben, habe ich gerade erfahren. Das bedeutet, man will die Familie Kadyrow durch einen Rauswurf nicht vor den Kopf stoßen, aber mit mir nichts mehr zu tun haben. Damit habe ich schon gerechnet, als wir nach Sotschi aufbrachen.“
„Tut mir leid, das zu hören. Hast du aus Tschetschenien Neuigkeiten?“
„Ich fürchte, ja. Hier denkt die Miliz, mit dem Aufdecken des Skandals sei nun alles geregelt und es gehe in den verbleibenden paar Tagen nur noch darum, die Homopropaganda zu unterbinden. Doch meine Leute in Tschetschenien haben Informationen, dass die Ereignisse irgendwie vom Emir gesteuert sein sollen.“
„Unheimlich. Was meint das russische Staatsfernsehen?“
„Sie sehen es als westlichen Versuch, Koslow fertig zu machen“, antwortete Stas. „Der Westen wolle weiterhin auf Biegen und Brechen Schwulen eine Goldmedaille zukommen lassen. Das alles diene dem Zweck, Russland moralisch zu destabilisieren. Ich mache mir Sorgen um euch!“
„Da bedeutet wohl, ich kriege meine Goldmedaille erst in einer netten, aber von der Öffentlichkeit ignorierten Feier in Lausanne oder schlimmer, gar per Einschreiben nach Hause geschickt“, ärgerte sich Justin. Er hätte schon gerne wie Fabian das Gefühl erlebt, vor Zehntausenden auf der Medals Plaza und Millionen an den Fernsehern als Sieger ausgerufen zu werden. Aber die Aggression, die sich in diesem Land gegen jeden liberalen Gedanken entwickelte, machte ihm zunehmend Angst und der Gedanke, ob er nicht doch den Slalom vergessen sollte.
James, der zwei Schritte entfernt gewartet hatte, warf dem telefonierenden Prinzen einen streng fragenden Blick zu.
„Ich muss Schluss machen, Harry. Feiere mal hübsch weiter für mich“, meinte daraufhin Richard. „Mein Bruder ist auf einer
Prinz-gewinnt-Medaille
-Party“, erklärte Richard, als sich nun Vanessa zu ihm gesellte. Sogar Bundesrat Stutz stieß zur Gruppe und sie gingen alle ein paar Schritte bis vor die Treppe, die hinab zum Reisebusparkplatz führte.
„Als ich hierher chauffiert wurde, warteten unten an der Schranke zum Dorf herauf etwa fünfzig Demonstranten“, flüsterte der Minister. „Sie hielten eine orthodoxe Ikone hoch und verbrannten neben der Ikone eine Regenbogenfahne. Die Polizei hat die eigentlich Putins Kundgebungsverbot zuwiderlaufende Demonstration geduldet. Die Entscheidung, dass Sie heute nicht mehr ins Tal fahren, war bestimmt richtig.“
„Mein Guide gehört der Familie des tschetschenischen Präsidenten an“, erzählte Justin. „Seine Leute glauben, dass da noch weit Schlimmeres im Busch sei als Schneebälle und brennende Regenbogenfahnen.“
„Die britische Regierung hat ähnliche Informationen. Wie beurteilen Sie die Sicherheitslage, Herr Bundesrat?“, fragte James.
„Sicher ist es unangenehm und wir müssen wachsam sein. Aber kurz und knapp: Wenn wir gehen würden, dann würden wir den vielen anständigen Russen vor den Kopf stoßen und die Chaoten und Feinde der Olympischen Spiele hätten gewonnen. Ich denke, es ist ein guter Schweizer Kompromiss, am Slalom kein Publikum an der Seite der Piste zuzulassen, aber das Rennen wie geplant durchzuführen.“
Stutz deutete auf den Militärlastwagen, der etwas abseits vom regulären Parkplatz im Schnee stand.
„Ist mir gar nicht aufgefallen. Die brauchen ja einen Panzer, um den aus dem Schnee wieder hoch auf den Platz zu ziehen“, meinte der Bundesrat.
„Der steht schon seit dem ersten Tag da“, erinnerte sich Justin.
Verteidigungsminister Stutz, der im Schweizer Militär den Rang eines Majors bekleidet hatte, schüttelte den Kopf über diese Nachlässigkeit.
„Richard, was meinst du zum typisch schweizerischen Kompromiss?“, fragte Vanessa.
„Ich möchte dazu nichts sagen. Wenn der Herr Bundesrat dabei ist, dann ist unser Gespräch ja nicht ganz privat und als ein Bruder des künftigen Königs gilt für mich das Neutralitätsgebot.“
Auch Justin dachte daran, dass eine Stellungnahme nach einer für den Skisport so ungewöhnlichen Maßnahme wohl mit der Delegationsleiterin und dem Verband abgesprochen werden müsste. Also schwieg auch er lieber.
Justin hoffte dann, nächste Woche, wenn sie alle gesund zu Hause wären, sich auf das Leben als Olympiasieger konzentrieren zu können, echte Sportlerpressekonferenzen zu geben oder gar einen Auftritt im
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