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Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)

Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)

Titel: Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Brodbeck
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müssten. Das habe ein Busfahrer erzählt, in den Notfallanweisungen für die Guides werde der Lastwagen aber nicht erwähnt.
    Justin war der Lastwagen nicht geheuer. Bei der nächsten Gelegenheit würde er Fabian davon erzählen. Der wusste bestimmt über Militärfahrzeuge Bescheid.
    Stas zeigte im Gehen auf seinem Tablet-Computer eine Agenturmeldung. Darin rief ein gewisser Ivan Okhlobystin die Helfer zum Boykott des noch ausstehenden Herrenslaloms im alpinen Skisport auf, da nach seiner Meinung die Pediki inzwischen die olympischen Spiele dazu benützen würden, den Jugendlichen ihre abartige Sexualität aufzuzwingen.
    „Wer ist dieser Wirrkopf?“, fragte Justin.
    „Ein ehemaliger orthodoxer Priester, der jetzt als Schauspieler der Star der russischen Variante der Ärzteserie
Scrubs
ist. Er hat neulich unsere Verbrennung bei lebendigem Leib gefordert“, erklärte Stas und rief auf dem Internetauftritt der Nachrichtenagentur RIA Nowosti auf. Dort war tatsächlich am 13. Dezember 2013 berichtet worden, der russische Fernsehstar wolle Schwule auf den Scheiterhaufen werfen.
    „Ich dachte, der letzte europäische Scheiterhaufen habe 1782 im Glarnerland gelodert. Was geht hier ab?“, fragte Justin beleidigt.
    „Viele glauben, Homosexualität ist eine ansteckende Krankheit, mit der wir angeblich die Kinder infizieren. Stell dir vor, du stehst vor einer Lawine des Hasses, die auf dich zurollt, und du hast keine Chance auszuweichen. So fühle ich mich als schwuler Russe“, antwortete Stas.
    Justin traute sich nun doch, den Studenten im Gehen kurz an sich zu drücken. Er fürchtete, diese Lawine würde nicht an den russischen Grenzen haltmachen, wie die jüngsten Verschärfungen der Gesetze gegen Schwule und Lesben in Uganda und Indien gezeigt hatten, aber auch der hysterische Kampf mancher west- und mitteleuropäischer Christen gegen die Eheöffnung würde durch Putin bestärkt werden.
    „Bei dir zu Hause ist es viel besser, nicht wahr?“, fragte Stas und hielt Justin die Tür auf. „In deinem Gymnasium wurde bestimmt kein Schwuler gemobbt.“
    Justin schüttelte den Kopf. „Als wir unsere Abschlusszeugnisse erhielten, traute ich mich, meinen Klassenlehrer zu fragen, was er getan hätte, wenn ein schwuler Schüler ihn um Hilfe gegen Mobbing gebeten hätte. Er hätte den Jungen sofort an die Schulpsychologin verwiesen, denn er glaubte, ein Vieraugengespräch über Homosexualität wäre ihm von der Schulleitung als sexueller Missbrauchsversuch ausgelegt worden.“
    Justin bemerkte, dass Stas durch die Anekdote offenbar enttäuscht wurde. „Aber als offen Schwuler in Zürich an der Uni studieren geht?“
    „Sicher! Immerhin, die Mittelschulen in der Schweiz, erlauben den Schülern, in ihren Abschlussarbeiten über Schwule und Lesben zu scheiben. Schluss mit düsteren Gedanken über homophobe Boykottaufrufe und feige Lehrer! Jetzt wird gefeiert!“, versuchte er den Russen aufzumuntern.
    Als sie am Festtisch ankamen, bedankte sich der junge Russe artig bei Monti und dem Prinzen für die Einladung. Vanessa fragte ihn, wie es seinen Leuten in Sotschi gehe. Stas blickte sich zuerst um, ob nicht gerade Personal der Mensa in der Nähe war. Als die Luft rein war, meinte er, man wäre für Unterstützung dankbar, aber es sei zurzeit sehr schwierig als schwuler Russe. Sein Vater erzähle zu Hause in Grosny, sein Sohn habe beim Trip nach Sotschi nur als Fremdenführer die Wünsche seiner ausländischen Gäste erfüllt, mehr stecke da nicht dahinter. Nur aufgrund dieses Schwindels würden die anderen Guides überhaupt noch mit ihm zusammenarbeiten und deshalb dürfe er den Job bis zum Ende der Olympischen Spiele behalten.
    Florian begann von den Fundamentalisten in Baden-Württemberg und der Schweiz zu erzählen, die Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um die Erwähnung von Lesben- und Schwulen in der jeweils anstehenden Lehrplanreform zu verhindern. Doch Saubauer intervenierte, er wolle jetzt vom neuen Riesenslalom-Olympiasieger hören, wie es ihm gelungen sei, schneller als Koslow zu fahren. Davon berichtete Justin selbstverständlich gerne und alle vom Team hörten ihm aufmerksam zu. Der Trainer hatte bestimmt recht: Jetzt sollten sie nicht über die böse Welt diskutieren, sondern durften die Medaillen feiern.

Der Boykott
    Um Punkt zehn Uhr abends begleitete Richard seine neue Freundin Vanessa zur Seilbahn, da sie im Tal ein Hotelzimmer bewohnte und mit der Bahn hinabfahren wollte. Saubauer mahnte kurz danach die

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