Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
dieser Stalin-Datscha? Das ist noch ein anstrengendes Stück Weg der Bergflanke entlang. Surab sagt, wenn man von hier einfach nach unten geht, also quasi dem Wasserlauf folgt, trifft man auf eine Straße und von dort kommt man zur abchasischen Küste. Ich muss zugeben, dass die nächtliche Tour mich körperlich an die Grenzen gebracht hat.“
„Abchasien steht unter russischer Kontrolle und würde deshalb russische Haftbefehle vollstrecken. Die Sache mit dem erschossenen Soldaten würde mir lange Monate Untersuchungshaft einbringen, falls nicht lebenslang Sibirien. Ich hatte ja vorne die Verantwortung.“
Fabian hatte darauf gehofft, Mayerhofer würde versuchen, ihn zu trösten, dass es ja Notwehr gewesen wäre und er sicher nicht verhaftet werden würde, aber der Oberst meinte nur: „Ich verstehe und ahne, wohin Sie möchten, aber es ist besser, wenn Sie mir das nicht erzählen. Dann kann ich es nicht Major Pizunda verraten. Sie haben mich beeindruckt, Luchsiger, viel Glück!“
Ein paar Schritte entfernt wollte Richard inzwischen Vanessa klarmachen, dass es für sie sicherer sei, ab hier direkt in Richtung der abchasischen Küste zu gehen. Sie fand es sexistisch, von ihren Freunden stehen gelassen zu werden, nur weil sie die Flucht als Frau angeblich nicht durchstehen würde.
Klaus lenkte Fabian vom Beobachten des ersten „Ehekrachs“ zwischen Vanessa und Richard ab. „Junge, jetzt ist doch noch was aus dir geworden und einen wundervollen Freund hast du ja auch gefunden. Schau nicht so traurig!“, wollte er seinen Neffen aufmuntern.
„Ich musste meine Gitarre zurücklassen. Sie war ein Geburtstagsgeschenk von dir.“
Sie drückten sich kurz. Fabian wollte noch im Schutz der Dunkelheit weiter Julios Wegpunkten folgen, zusammen mit Florian, Richard und dessen Bodyguard, Vanessa und Justin, während die älteren begannen Zelte aufzubauen. Ein paar Stunden Schlaf müssten schließlich sein, und Saubauer gab zu, auch nicht mehr so fit zu sein wie damals, als er den K2 bestiegen hatte.
Hansi Vorderseher, Damien Vincent und Conradin Caratsch wollten sich nicht verabschieden. „Wir sind ein Team, oder nicht?“, erklärten die beiden ihren Entschluss, nicht wie Mayerhofer und alle anderen den direkten Weg zur Küste zu nehmen.
Das gab Fabian wieder Mut, es vielleicht doch zu schaffen, Florian und seine Freunde in Sicherheit zu bringen. Mehr Sorgen machte ihm allerdings, dass Garchinger meinte, die Story sei der Doppelolympiasieger und nicht Mayerhofer. Der Journalist wollte ihn also ebenfalls begleiten.
„Ich habe gefahren Bus von Küste zum Ritsa-See“, hörte Fabian plötzlich eine Stimme im Dunkeln. Er hatte bis dahin gar nicht gemerkt, dass Edcham auch dabei war.
„Der Abchasier! Du bist schuld, dass dieser Pizunda meinen Bruder g’holt hat!“, platzte Anton Pöschl raus. „Er hat das Geld nur kurz angefasst.“ Jörg Pesenbauer hielt ihn im letzten Moment noch davon ab, den Busfahrer in den Schnee zu werfen.
„Ich habe Beziehungen und Ihr Geld!“, erklärte der undurchsichtige Fahrer.
Vielleicht konnte er im Ferienressort am Gebirgssee wirklich etwas Nützliches organisieren, dachte sich Fabian.
Als Fabian mit Florian, Justin, Stas, Vanessa, Richard, James, Damien, Conradin, Hansi und Garchinger zusammen mit dem Abchasier Edcham das Gros der Fluchtgruppe in Richtung des Sees verließ, schimmerte bereits der inzwischen aufgegangene Mond hoch über den Wolken. So musste die Gruppe, die zum Ritsa-See wollte, wenigstens nicht in völliger Dunkelheit ihren Weg durch den Nebel fortsetzen. Sie wechselten sich nun in kurzen Abständen an der Spitze ab. Denn der Vorderste musste sich mühsam einen Weg durch den lockeren Neuschnee bahnen, während die anderen in seiner Spur folgen konnten. Damien musste Garchinger die Kamera und Conradin bald auch den Rucksack tragen, während James noch immer die Stinger schleppte. Fabian hoffte, der Journalist würde am See bleiben, denn der Weg bis auf von der georgischen Hauptstadt Tiflis kontrolliertes Gebiet war noch weit. Doch er sah die Flucht dorthin als die einzige Möglichkeit an, einer Verhaftung durch die Russen zu entgehen, denn er musste ja damit rechnen, dass bei Tagesanbruch Pizunda entweder mit Hubschraubern – wenn es die Sicht erlaubte – oder zu Fuß seine Leute auf den Grat hochschicken würde, um nachzusehen, warum sich der Posten nicht mehr meldete. Dann würde er herausfinden, dass einer der Soldaten viel später gestorben war als alle
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