Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
und hob einen Mundwinkel für einen kurzen Moment. Wie alle hier dachte wohl auch der Präsident, der Altmeister Ulrichen hätte gepatzt, wenn er nicht einmal den unerfahrenen deutschen Burschen hatte schlagen können. Trotzdem schickte die Regie ihre Zielraumkamera zum Walliser; die Russen folgten und der keuchende Rennläufer erklärte, dass er die Sprünge nicht ganz optimal erwischt habe, während er auf dem Podest Platz drei einnahm und Häusle die Hand schüttelte. Für eine Frage an Häusle oder gar den zweitplatzierten Russen Funtow reichte es nicht mehr. Garchinger musste in die Kommentatorenkabine zurückgeben.
„Du bist wie eine Rakete durchgestartet, sagte man oben“, erklärte der noch tief atmende Ulrichen zu Häusle, und Garchinger ärgerte es, dass er diesen emotionalen Satz nicht mehr in der Liveübertragung drin hatte. Der Reporter von SNI drängelte ihn zur Seite.
„
Excuse me, Mr House.
Noch ist Ihre Zeit 02:12,22 das Maß hier. Was denken Sie, was wird Ihre Fahrt am Ende des Tages wert sein?“, fragte der Reporter.
„Wäre schön, wenn es ein olympisches Diplom gäbe“, antwortete der Süddeutsche. „Die Strecke wurde perfekt präpariert. Danke an die russischen und internationalen Helfer!“
Ulrichen stellte der SNI-Mann keine Frage, was Garchinger als respektlos empfand. Die Spitze überstand ein paar weitere Läufer, darunter auch Simon Pöschl, bis mit der Startnummer fünfzehn Anton Pöschl mit mehreren grünen Zwischenzeiten angezeigt wurde: zwei Zehntel, drei Zehntel, zwei Zehntel vorne. Garchinger musste wieder Putins Reaktion filmen, der nur ausdruckslos durch seine kleine runde Sonnenbrille auf einen der Großbildschirme blickte. Das Publikum war aufgeregt und rief bei Pöschls Zielsprung laut „Ho-Hopp!“. Auf dem Treppchen hielt man den Atem an, denn der Österreicher geriet in Rücklage und begann in der Luft mit den Armen zu rudern – nach dem Aufsetzen musste er in den Schnee greifen, um einen Sturz zu vermeiden. Dieser Sprung vor dem Ziel war technisch nicht wirklich schwer, aber gefährlich, weil er am Schluss eines kräfteraubenden Rennens lag. Garchinger konnte dem Österreicher die Enttäuschung nachfühlen und verstand gut, dass dieser gleich durch den Rennläuferausgang verschwand: Die schon sicher scheinende Medaille war regelrecht im Schnee des Zielhangs liegengeblieben. Nun würde es im Schlussklassement mit Glück wenigstens für einen einstelligen Rang reichen.
Patrik Moser war der nächste Schweizer. Die erste Zwischenzeit im Accola Valley sah gut aus, doch bereits beim Russian Trampoline hatte er drei Viertelsekunden Rückstand – er solle die Schweizer Trainer filmen, lautete nun die Regieanweisung für das Zweierteam im Zielraum. Die Funktionäre Mayerhofer und Graber standen dicht bei dem Teamchef Monti. Der Tessiner hob verzweifelt die Arme, als der Rückstand seines Schützlings sich bei der nächsten Zwischenzeit noch vergrößert hatte. Auch das Publikum schien den Schweizer abgehakt zu haben; der Platzsprecher machte sogar bereits auf David Koslow aufmerksam, der als nächstes starten würde. Garchinger glaubte förmlich spüren zu können, wie sich im Publikum elektrisch knisternd die Spannung aufbaute. Moser huschte über die Ziellinie und fuhr wenig beachtet von den Kameras im Zielraum gleich zu Monti.
Eine Minute Werbepause für die Fernsehsender verstrich, während Garchinger die Prominententribüne mit Putin filmen musste. Der Präsident unterhielt sich mit dem Chef des Organisationskomitees. Auf seiner anderen Seite blätterte Ministerpräsident Medwedew gerade in einem Programm. Schräg dahinter saß Altkanzler Schröder mit einer kleinen Gazprom-Anstecknadel an der Jacke. Der Platzsprecher erzählte inzwischen etwas über Koslow, dem Garchinger trotz seiner Russischkenntnisse nicht gut folgen konnte. Die Werbepause – für das IOC beschönigend auch „Pause zum Einblenden des Zwischenklassements“ genannt – dauerte offenbar für den führenden Häusle viel zu lange, er begann nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten. Ein Bild für die Kamera, wie die Regie fand. Selbstverständlich wollte der junge Mann endlich wissen, was seine Laufzeit wert war! Wenn er bereits einige der besten überstanden hatte, würden selbstverständlich die Medaillenhoffnungen in ihm keimen und natürlich auch im deutschen Fernsehpublikum, das nun bestimmt nicht zu RTL wegzappen würde.
Der Platzsprecher wechselte auf Englisch, um auch den
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