Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
ausländischen Gästen die Triumphe ihres Davids aufzuzählen. Die Zehntausende Zuschauer an der Strecke und im Rosa Stadion erwarteten von ihrem Matador nichts Geringeres als Gold.
Jetzt konnten alle auf den Monitoren verfolgen, wie der bärtige Russe an den Start ging, die Stöcke vor der Zeitschranke in den Schnee steckte und mit einem kraftvollen Abstoß startete. Das Publikum quittierte seinen Start mit einem dröhnenden Jubel. Garchinger konnte sich nicht vorstellen, wie ein Sportler einen solchen Druck aushalten könnte, wie er in diesem Moment auf dem Russen lastete. Seine Kamerafrau hielt Putin im Visier, um seine Reaktionen auf die Fahrt seines Landsmanns einzufangen, aber auch die von SRF gefilmte Anspannung des Deutschen war großes Kino. War das nicht als Slalomspezialist in der Abfahrt ein unerwarteter Karrierehöhepunkt, der Gegenspieler des Favoriten zu sein? Das musste für den Schwarzwälder einfach der Wahnsinn sein. Viel mehr, als der sich je von Olympia hätte träumen lassen dürfen. Die deutschen Einschaltquoten für den Abfahrtslauf würden wohl gerade explodieren, hoffte Garchinger.
Der Jubel der Menge vereinigte sich zu einer Art Donnern, als die Zwischenzeit am Russian Trampoline grün angezeigt wurde. Koslows Sprung unter der Seilbahn hindurch war gut gelungen und er fuhr die anschließende Rechtskurve eng und schnell. Eine Kamera in einem Hubschrauber verfolgte ihn nun, wie er nach einer Rechtskurve die Passage namens Big Pan hinuntersauste – Dank der Werbepause konnte er über die ganze Länge der Strecke live gesendet werden. Vor dem Bear’s Brow würde er wieder grün gemessen und schon nahm er Tempo auf für den weitesten Sprung, den Lake Jump. Er war tadellos unterwegs. Weniger als eine Minute trennte ihn wohl vom Höhepunkt seiner Kariere. Das Publikum war außer sich und sogar Putin zog beide Mundwinkel hoch.
Wieder eine grüne Zwischenzeit nach einem weiten Sprung nach links; vielleicht war er ein wenig zu lang aufrecht gewesen, bemängelte Garchinger. Doch das verhinderte nicht den kollektiven Jubel im Zielraum, als er weiterhin vorne lag, wenn auch der Vorsprung ein wenig gelitten hatte. Eine ganze Nation sah sich offenbar kurz vor dem Triumph über den arroganten Westen. Doch gerade Pöschl hatte vorhin gezeigt, wie ein einziger Fehler kurz vor dem Ziel einem noch weit nach hinten im Klassement katapultieren konnte.
Eine dreiviertel Sekunde Vorsprung bei der letzten Zwischenzeit! Der Lake Jump hatte also dem Russen nicht wirklich geschadet. Die Leute auf den Tribünen und den seitlichen Stehplätzen konnten Koslow nun im Hang sehen. Die Stimmung kochte, als er in den Zielhang sprang. Etwas weit und schräg geriet der Flug zwar, er konnte sich aber besser fangen als Pöschl vorhin. Das kostete zwar Tempo, doch es lag ja nun nichts mehr zwischen ihm und der Ziellinie. Der Zeitvorrat reichte aus, um diese Unsauberkeit vorhin auszubügeln: Der Russe sauste mit zwölf Hundertstel Vorsprung über die Linie. Da und dort schossen irgendwelche Kindsköpfe hinter den Tribünen Feuerwerk ab; alles tobte, schrie, johlte und war vollkommen aus dem Häuschen. Russland stand auf dem ersten und dritten Platz! Was für ein Triumpf des Gastgebers! Sogar die Prominenten waren aufgestanden und im Vorbeifahren durfte Koslow die Hand seines Präsidenten schütteln, der ja die treibende Kraft hinter der Idee gewesen war, hier eine Olympia-Abfahrt durchzuführen. Die drei Kamerateams folgten ihm zur Siegertreppe, deren Spitze der junge Deutsche nun gleich räumen musste. Der Lauf von Hansi Vorderseher ging dabei zumindest im Zielraum völlig unter und auch dass der Schweizer Ulrichen nun den dritten Platz frei machen und Funtow an seine Stelle hinabsteigen musste. Für den Walliser war der Gang weg vom Treppchen bitter, das wusste Garchinger.
Die Stimmung erreichte im Zielraum einen neuen Höhepunkt, als Deutschland dem Gastgeber Russland die Spitze auf der Siegertreppe anbieten musste und Häusle dem Helden Koslow gratulierte. Dann klatschte der Herkules des Kaukasus mit seinem drittplatzierten Teamkollegen ab und streckte jetzt auf dem ersten Platz stehend beide Arme hoch. Die Menge skandierte „David, David!“ Welche Erleichterung hatte eine ganze Nation erfasst. Selbst Garchinger konnte sich der Faszination dieses Moments nicht verschließen. Er war dabei, wie unter den Augen des neuerdings mächtigsten Mannes der Welt sich dieser Kraftakt, eine Olympiade auf die grüne Wiese zu bauen,
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