Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
schleimige Reporter zurück. Richard wartete, bis der Mann wirklich verschwunden war.
„Justin, kann ich dich draußen etwas wegen Vanessa fragen?“
Der Liechtensteiner deutete Fabian an, er solle mitkommen. Sie folgten ihm einen Flur entlang durch einen kleineren Ausgang ins Freie.
„Eine private Gesellschaft bietet Touristen täglich Rundflüge in einer Mi-38 an und darf bei den Bob-Bahnen landen, sofern dort gerade keine Wettkämpfe stattfinden“, berichtete Richard.
„Mi-was?“, fragte Justin.
„Sorry, der Euromil Mi-38 ist ein russischer Großraumhubschrauber. Ich habe zwei enthusiastische Helikopterpiloten als Brüder, deshalb sind mir solche Abkürzungen in Fleisch und Blut übergegangen. Das Ticket vom Flughafen Adler bis hierher kostet zwanzigtausend Rubel. Ich habe bereits für Signorina Vanessa reserviert und wollte vorschlagen, dass wir es zu gleichen Teilen bezahlen, damit keine Missverständnisse aufkommen. Die Hälfte würde umgerechnet zweihundertdreißig Euro entsprechen.“
Warum die „Prinzessin“ Vanessa ab dem internationalen Flughafen nicht mit dem Zug reisen konnte, verstand Fabian nicht, doch zog er es vor, sich nicht einzumischen.
„Kein Problem, wir sind ja Gentlemen“, meinte Justin, zog seine Brieftasche aus der Jacke und reichte dem Prinzen das Geld.
Fabian fand es merkwürdig, dass Justin den Briten nicht über seine sexuelle Orientierung aufgeklärt hatte. Aber er wusste von sich selbst, wie schwierig das war, diese innere Angst zu überwinden, und zudem hatte er im Flugzeug versprochen, es ihm zu überlassen, wann er sich vor wem outen wollte.
Er wurde von einer SMS von Stas abgelenkt, der fragte, wo sie abgeblieben seien. Fabian gab ihren Aufenthaltsort durch und schrieb, dass Richard, Justin und er jetzt ins olympische Dorf zurückgehen wollten. Postwendend erhielt er die Antwort, dass sie mit dem Zug fahren müssten, eine Bahnstation mit einer direkten Verbindung in die Berge sei aber nicht weit entfernt. Er würde gleich zu ihnen stoßen. Fabian benachrichtigte Florian über ihre Pläne und bat ihn, sie zu begleiten. Doch leider antwortete der, er könne jetzt nicht einfach weg, schließlich sei seine Bronze die erste deutsche olympische Herren-Abfahrtsmedaille seit 1960.
Während der Zugfahrt plauderten vor allem Justin und Richard miteinander, einerseits hätte Fabian gerne Zeit mit Florian verbracht und andererseits kreiste der Gedanke an Tommie Smith und John Carlos in seinem Kopf. Florian und er hatten ja auch Gold und Bronze gewonnen, hätte er doch eine Regenbogenfahne mitnehmen und dafür den vorzeitigen Heimflug und das Ende der Karriere in Kauf nehmen sollen? Hätte er, anstatt bei den Snowboarderinnen abzuhängen, besser diese Aktion vorbereiten sollen und würde man ihm nun bei den Homosexuellenverbänden seine Untätigkeit übelnehmen? Immerhin war ja Florian im SNI-Interview sehr deutlich gewesen. Im Moment wusste er keine Antwort auf diese Fragen und per SMS erhielt er von Florian darauf nur die Antwort:
Will den Traum vom Gold im Slalom nicht aufgeben, guk
.
Florians „Gruß und Kuss“ am Schluss der Nachricht stimmte Fabian wieder optimistisch und wollte auf Schweizerdeutsch schreiben: „I ha di mega fescht gern.“ Deshalb tippte er
hdmfg ((( Florian )))
ins Smartphone
.
Die Antwort des virtuell Umarmten darauf lautete:
ily ||
=:-)
gn8 :-*
. Das war für Fabian die kribbelndste SMS, die er je empfangen hatte, denn sie war nichts Geringeres als eine Liebeserklärung. Er konnte seine Augen kaum vom Display lösen.
Als sie auf dem Parkplatz des olympischen Dorfs aus einem Pendelbus stiegen, der sie von Kopfbahnhof im Tal hochgefahren hatte, stand Edchams Bus längst wieder auf dem Parkplatz und war wie etliche andere mit einem externen Stromkabel für die Standheizung verbunden. Stas wünschte eine gute Nacht und ging auf Edchams Reisebus zu, während Richard die Treppe zu den Häusern hinaufstieg – er habe seinem Vater ein Telefonat versprochen, erklärte er.
„Du schläfst doch nicht etwas im Bus?“, fragte Justin Stas.
Der russische Student blieb stehen und drehte sich zu Justin um, während Fabian zum tausendsten Mal die letzte SMS von Florian las.
„Die Unterkunft unten im Tal ist nicht so toll. Da gibt es eine politisch rechts gerichtete Clique, die lässt nach Feierabend eine Flasche Wodka kreisen. Das mag ich nicht besonders. Den Herren dort wird es nicht gefallen, dass ein Schwuler ihrem Idol die Goldmedaille weggeschnappt
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